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Wie knackt man einen Bunker, Björn Liese?
Wie kommt das Neue in die Welt? Wie entstehen unkonventionelle Entwürfe, wie befreit man sich von
Routine und Mainstreamdenke? In unserem out of the box-Newsletter diskutieren wir diese Fragen mit Architekten und Gestaltern.

Björn Liese, Hamburger Architekt, erklärt, wie man einen Weltkriegsveteranen in die Jetztzeit holt, wieso Schmerz etwas Positives ist und weshalb man als Architekt vor allem eines lernt: Ausdauer.
Glückwunsch, Herr Liese: Sie haben gerade die Auszeichnung „Hamburger Bauwerk des Jahres“ erhalten für einen Hochbunker, den Sie zu einem CO2-neutralen Apartmenthaus umgebaut haben. Wie kommt man
auf die Idee für so ein Schutzraum-zu-Wohnraum-Projekt? 
Durch Zufall. Wir sind 2012 nach Hamburg-Ottensen gezogen, seither war der 22 Meter hohe Hochbunker, den man 1942 für 1560 Menschen gebaut hatte, unser direkter Nachbar. Vier Wochen nach unserem Einzug hatte ich bereits eine erste Ideenskizze fertig, was man mit ihm anfangen könnte.
Der Schutzraum hatte mehr als 70 Jahre in einem Hinterhof mitten in der Stadt geschlummert, bevor jemand auf die Idee kam, ihn umzubauen. Eigentlich erstaunlich, oder?
Ich dachte zunächst auch, an einer exotischen Sache dran zu sein. Wenn man aber mal offenen Auges durch die Stadt fährt, fallen einem an jeder Ecke Bunker auf. Allein in meiner Wahlheimat Hamburg gibt es noch hunderte Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Einer von ihnen, der Feldstraßenbunker auf St. Pauli, erhält gerade eine grüne Mütze in Form eines öffentlichen Parks. Manchen verpasst man Aufbauten nach dem Prinzip Penthouse, anderen wie dem Berliner Boros-Bunker eine teilöffentliche Nutzung. Viele verschwinden auch gerade. Die explodierenden Grundstückspreise machen heute einen Abriss wirtschaftlich, der sich früher aufgrund des enormen Aufwands nicht gelohnt hätte.
Zusammen mit den Bauherren, einem Ehepaar aus der Nachbarschaft, haben Sie sich gegen einen Abriss und für eine komplette Entkernung entschieden. Warum dieser Wahnsinnsaufwand?
Weil wir auf der engen innerstädtischen Hinterhoflage das Bauvolumen nie wieder hätten herstellen dürfen. Wichtiger ist aber noch etwas ganz anderes: Wohnarchitektur steckt heute in einem engen Korsett aus Normen, Erfordernissen und Vorgaben, was wiederum erklärt, warum viele Wohnbauten durchnormiert und letztlich austauschbar aussehen. Beim Bunker aber war uns klar: Vor uns liegt ein echter Rohdiamant, aus dem etwas Besonderes werden kann. Als wir ihn in der Zwischennutzungsphase für Festivals und Ausstellungen öffneten, war auch gleich zu spüren, wie die Szene nach solchen Flächen lechzt.
Aber statt einer zumindest teilöffentlichen Nutzung haben Sie die entkernte Bunkerhülle mit 15 Wohnungen gefüllt, und zwar komplett.
Tja, eine Ausstellungs- oder Veranstaltungsfläche, von der das Viertel profitiert, war auch der Traum der Bauherren. Angesichts von Kaufpreis und Umbaukosten wurde aber schnell klar, dass eine Sanierung nur mit vollständiger Wohnnutzung zu finanzieren sein würde.
Was ist die größte Herausforderung, wenn man einen Bunker zum Wohnhaus umbaut?
Ihn so umzubauen, dass er möglichst nicht nach Wohnhaus aussieht (lacht). Aber ernsthaft: Was die konstruktive Seite angeht, ist das Ganze erst einmal nicht so kompliziert. Man hat es ja „nur“ mit Stahlbeton zu tun. Wobei man sich natürlich selbst hier in verschiedene Abbruchtechniken und -konzepte vertiefen kann. Das mündet dann auch schnell in Fragestellungen wie „Sägen oder fräsen?“
Und?
Wir haben beides getan. Beim Sägen entsteht eine sehr saubere Schnittfläche, optisch beinahe vergleichbar mit einem Terrazzoboden. Das Fräsen hingegen ist deutlich schlechter zu kontrollieren, führt aber zu einem nicht weniger spannenden Ergebnis. Die Fensteröffnungen haben wir daher geschnitten, die Decken – wie auch die massive Dachdecke – durchbrechen lassen. Die Spuren des Rückbaus haben wir bewusst sichtbar gehalten. In den Fensternischen und Außenwänden sind Massivität und ursprüngliche Struktur des Bunkers daher bis heute ablesbar.
Das klingt alles ziemlich einfach... 
War es natürlich nicht. Schwierig war zum Beispiel die Lage in dem beengten Hinterhof mit vorgelagerter Gründerzeitbebauung, ob derer wir auf Wohlwollen, Dienstbarkeiten und Baulasten der Nachbarn angewiesen waren. Und für die Entkernung mussten wir einen Raupen-Kettenbagger auf dem Dach absetzen, der sich dann mehrere Monate lang wie ein Nagetier von oben durch die Bunkerdecken fraß. Allein der dafür notwendige Einsatz eines großen Mobilkrans löste eine Vielzahl von Themen aus, die wir bereits in der frühen Planungsphase untersuchen und berücksichtigen mussten.
Diese Verantwortung lastete vor allem auf Ihren Schultern. Wie oft haben Sie überlegt, dieses Projekt hinzuschmeißen?
Kein einziges Mal. Wie Sie sagen, als Architekt hat man eine Verantwortung. Aber klar, es geht natürlich immer mal eine Idee über Bord, an der man sehr gehangen hat. Und es kann auch sehr frustrierend sein, wenn nicht alle Beteiligten am gleichen Strang ziehen. Bauprojekte sind immer Gemeinschaftsprojekte, und nicht jedes Gewerk liefert die Qualität ab, die man sich als Planer vorstellt. Baustellen sind daher häufig Orte des Kompromisses und Hartnäckigkeit und Ausdauer ständige Begleiter, wenn es darum geht, den Kern der Sache zu verteidigen.
Sie haben sich diesen Auftrag sozusagen selbst erarbeitet und einen Bauherren für die Bunkerkonversion aufgetan. Ist das eine empfehlenswerte Akquise-Strategie, auf eigene Faust Projekte aufzuspüren?
Gute Frage, denn natürlich muss ich mir als selbstständiger Architekt kontinuierlich Arbeit verschaffen und halte allein schon deshalb ständig die Augen offen. Häufig stellt man aber fest, dass die interessanten Objekte und Flächen längst in festen Händen sind. Und für das Bunkerprojekt bin ich ein Jahr lang in Vorleistung gegangen. Einen solchen Akquise-Aufwand konnte ich mir damals nur leisten, weil ich freiberuflich für ein anderes Büro arbeitete und noch keine Kinder hatte.
Dass außergewöhnliche Projekte wie dieses einen überdurchschnittlichen Aufwand erfordern und sich finanziell nicht lohnen: Aus diesem Dilemma gibt’s keinen Ausweg, oder?
Doch, mein Honorar ging voll in Ordnung. Mit dem Bunker startete meine Selbstständigkeit. Es war für mich ein Sprung ins kalte Wasser, aber der Bunker hat mir geholfen, mich in meinen ersten Unternehmerjahren zu finanzieren.
Was sind für Sie die größten Vor- und Nachteile der Selbstständigkeit?
Die Bezeichnung sagt es ja schon: Als Selbstständiger ist man selbst und ständig, also letztlich immer auf Akquise. Und in meinem 1-Mann-Büro bin ich zugleich der Praktikant, der sich um die IT-Ausstattung kümmern muss und der Chef, der Interviews wie dieses geben darf. Aber ich mag diese Unabhängigkeit.
Welches Bauwerk, welches Projekt hat Sie in letzten Monaten am nachhaltigsten inspiriert?
Ich habe in den vergangenen Monaten einen Kollegen bei der Umsetzung eines Wohnhauses in Massivholzbauweise unterstützt. Vom Umgang mit der Materialität, über Themen der Nachhaltigkeit bis hin zur Baustellenorganisation empfand ich hier viele Aspekte als sehr inspirierend.
Wo finden Sie Ideen für Architektur – jenseits der Architektur?
Überall im eigenen Umfeld, aber auch unterwegs. Es gibt praktisch keine Reise, vor der ich nicht die architektonisch interessanten Gebäude oder Orte einer Region in eine Google-Karte eingebe, um sie anschließend abzulaufen. Bei einem meiner letzten Ausflüge habe ich mir das Tirpitz Museum von BIG (Bjarke Ingels Group) in der Nähe von Blåvand/DK angesehen. Tolles Projekt, ein Teil der Anlage besteht aus einem alten Geschützbunker. Aber es müssen nicht immer die Großen der Architekturszene sein. Dank der zahlreichen Architekturplattformen entdecke ich ständig interessante Projekte auch von kleineren Büros. Vor kurzem bin ich durch einen Newsletter über einen Umbau von Rethmeier Schlaich Architekten in Köln gestolpert. Webrecherchen haben mich auf die Seiten von Löser Lott Architekten und Büro Wagner aus München geführt. Zuletzt habe ich mich durch die Projekte und Vorträge von Thomas Kröger Architekten geklickt.
Wann wollten Sie das letzte Mal den Job hinschmeißen, und warum?
Ach, man brütet ständig über Dingen, die dann doch nicht funktionieren. Aktuell arbeiten wir gerade an einer Wohnbebauung, und natürlich hat man zunächst eine Idee. Dann aber kommen die Zwänge: Entweder hat der Bauherr andere Vorstellungen, die Idee ist nicht finanzierbar oder irgendwelche Vorschriften sprechen dagegen. Einen Tod muss man sterben. Der Schmerz, der mit dem Tod einer Idee verbunden ist, ist aber ein gutes Zeichen. Er zeigt, dass man mit Leidenschaft bei der Sache ist. Genau deshalb bin ich gern Architekt.
Wie wird Covid-19 die Architektur verändern?
Möglichst wenig, hoffe ich. Ich habe nach der Finanzkrise 2008/2009 gesehen, wie auch in den großen Büros massenhaft gute Leute entlassen werden mussten. Eine solche Delle möchte ich nicht noch einmal erleben.
Was möchten Sie eines Tages unbedingt mal bauen?
Einen weiteren Bunker. Ich habe gerade zwei potentielle Projekte auf dem Tisch liegen. Wenn eines von denen etwas wird, bin ich glücklich.
 
Björn Liese
hat in Münster studiert und unter anderem in den Büros Bolles Wilson (Münster), Caramel Architects (Wien) sowie Coido Architekten (Hamburg) gearbeitet, bevor er sich mit eigenem Büro in Hamburg selbstständig machte. Gleich das erste Projekt des heute 41-jährigen, die Konversion eines Hochbunkers zum CO2-neutralen Wohnhaus (2016 - 2019), erregte weithin Aufmerksamkeit. “Frieda” wurde vom Hamburger Architekten- und Ingenieursverein als „Bauwerk des Jahres 2019“ ausgezeichnet. Unsere Interior-Fotos zeigen das Apartment von Mark und Janine Seelen im 6. Stock des ehemaligen Bunkers, das nach Plänen der Bauherren zusammen mit Timm Timm Architekten eingerichtet wurde. Ein Dauergast in ihrem Apartment ist das Schalterprogramm Berker R. Classic.
 
 
Projekt „Frieda“ in Hamburg - Gelungene Umnutzung eines Bunkers
Harte Hülle, feinsinniger Kern - ein Blick in das Apartment von Janine und Mark Seelen
 
 
 
Alles für Ihr Projekt. Alles außer gewöhnlich. Alles aus einer Hand. hager.de/arc
 
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