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Wie baut man ungewöhnlich, Katja Knaus?
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Mit dem „Haus am Park – Wohnen für alle“ war Katja Knaus an einem der unkonventionellsten privaten Wohnbauprojekte der letzten Jahre beteiligt. Aber auch sonst überzeugt die Stuttgarter Architektin mit ihrem Büro Yonder immer wieder Bauherren von überraschenden Entwürfen. Was braucht es dafür? Wie gewinnt man Auftraggeber für Lösungen, an die sie nicht einmal im Traum gedacht hätten?
Ein Gespräch über ungewöhnliche Auftraggeber, architektonische Reisen und die beste Art des Bauens.
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Ungewöhnlich wie seine Entstehungsgeschichte: das Gemeinschaftsprojekt „Haus am Park“ in Tübingen
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Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: In Tübingen haben Sie für eine private Baugruppe ein Mehrfamilienhaus in bester Wohnlage errichtet, in dem Geflüchtete und Tübinger Bürger zusammenleben.
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Für ein solches Projekt muss tatsächlich viel Gutes zusammenkommen. Zunächst einmal braucht es eine Stadt wie Tübingen, die kein Experiment scheut. Zum anderen muss es engagierte Bürger geben, die bei einem solchen Projekt die Entwicklung, Finanzierung und Steuerung übernehmen. Und natürlich erfordert es auch Architektinnen und Planer, die es am Ende umsetzen.
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Im „Haus am Park“ haben private Bauherren Wohnungen für Geflüchtete mitfinanziert. Im Gegenzug können sie die Wohnungen in bester Lage nach zehn Jahren selber nutzen. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Konstellation?
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Die Stadt Tübingen suchte nach Folgeunterbringungen, in denen Geflüchtete nach der Erstaufnahme einziehen können. Dafür war sie bereit, ein Sahnegrundstück direkt am Neckar im Konzeptverfahren unterhalb seines Marktwerts abzugeben – und zwar an denjenigen, der das beste Konzept anbot. Auf diese Weise kamen Leute zum Zug, die in den üblichen Wer-bietet-mehr-Prozessen unter den Tisch gefallen wären. Es war eine echte Win-Win-Situation.
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Wer waren diese Leute mit dem überzeugendsten Konzept?
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Im Bewerbungsverfahren haben sich der Tübinger Soziologe Dr. Gerd Kuhn und ein Projektsteuerer zusammengetan und ein Konzept mit zwei Gebäuden und unterschiedlichen Wohnformen entwickelt, das ganz unterschiedliche Bewohnerinnen und Bewohner zusammenbringt. Finanziert wurde es von einer Baugruppe aus Tübinger Bürgerinnen und Bürgern, die in der Flüchtlingskrise etwas tun wollten. So entstand das Haus am Park mit einem Wohnungsmix aus insgesamt 14 Wohnungen für Geflüchtete, darunter drei Mikroappartments für minderjährige Geflüchtete und drei Penthäusern im obersten Geschoss, die über ihren höheren Kaufpreis andere Wohnungen teilweise querfinanzierten. Außerdem wurde im Nachbarhaus zusätzlich eine Clusterwohnung für Alleinerziehende geschaffen.
Nach zehn Jahren können die Eigentümer ihre Wohnungen entweder selbst nutzen oder die Bindungsfrist für die jeweilige Wohnung mit der Stadt verlängern. Über Sozialtransfers der Eigentümer wurde im sogenannten Brückenhaus nebenan auch ein sogenanntes „Wohnzimmer für alle“ finanziert, das Bewohner des gesamten Wohnviertels für jedwede Veranstaltungen nutzen können. Zu Coronazeiten wurde dort beispielsweise Hausaufgabenhilfe für Schüler angeboten.
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Auf diese Weise entstand ein Gemeinschaftshaus, das grundsolide und flexibel zugleich ist.
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Wie gesagt, die Wohneinheiten für Geflüchtete können von den Mitgliedern der Baugruppe eines Tages selbst genutzt werden. Beim Haus am Park haben wir daher lediglich die Außenwände aus kerngedämmten Betonhalbfertigteilen, die Treppenkerne und die Wohnungstrennwände tragend ausgebildet. Alle übrigen Wände können verändert werden. Eine kleinteilige 6-Zimmer-Wohnung für bis zu 10 Personen kann sich so eines Tages mit geringem Aufwand in ein großzügiges Loft verwandeln.
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Im „Haus am Park“ wurden lediglich die Treppenkerne, Wohnungs- und Außenwände aus Beton gefertigt. Alle anderen Raumtrenner lassen sich flexibel neuen Nutzern und Wohnformen anpassen
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Umgesetzt wurden das Wohn- und das benachbarte Gemeinschaftshaus von Yonder zusammen mit drei weiteren Planungsbüros. Warum so viele Köpfe für ein einziges Projekt?
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Sowohl Baugruppe als auch die Stadt Tübingen wünschten sich Vielfalt nicht nur bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, sondern auch bei Planerinnen und Architekten. Deshalb wurden vier Büros ins Boot geholt. Natürlich ist eine Abstimmung zwischen einer Baugruppe auf der einen und vier Architekturbüros auf der anderen Seite alles andere als unterkomplex.
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Würden Sie eine solche Aufgabe dennoch ein weiteres Mal übernehmen?
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Direkt nach dem Projekt hätte ich sicher gezögert. Mittlerweile aber sehe ich, wieviel Gutes aus dem Projekt erwächst. Überall, wo wir davon erzählen, ist das Aufhorchen groß, denn sowohl gestalterisch als auch hinsichtlich sozialer Nachhaltigkeit ist da ein wirklich gutes Projekt entstanden. Eigentlich sollten wir immer so bauen. Und ich finde, es sollten viel mehr Bauherren, Städte und Architekten solch ungewöhnliche Wege gehen, wie wir sie in Tübingen gefunden haben.
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Wie sehr verzweifelt es Sie, dass Wohnraum – und damit das Produkt Ihrer Arbeit – zusehends zum Spekulationsobjekt wird?
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Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass wir zu einer Baukultur finden, in der nicht der überwiegende Teil des Wohnungsbaus einfach so schwer kontrollierbaren Marktmechanismen überlassen wird. Es wäre schön, wenn wir verstärkt zu nachhaltigeren Alternativen finden würden, die ökologisch vertretbar und sozial gerechter sind. Sollte ich das noch erleben dürfen, wäre ich sehr dankbar.
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In Tübingen lautete ihr Auftrag, per Architektur Menschen zusammenzubringen, die sonst nie zusammenkommen würden. Kann Architektur das wirklich leisten?
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Unzweifelhaft ist, dass wir als Architektinnen und Architekten soziale Probleme verursachen können. Umgekehrt können wir aber auch Spielräume gestalten, in denen ein besseres Zusammenleben möglich wird. Begegnungsräume zwischen Räumen oder Wohneinheiten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Ob das aber auch tatsächlich gelingt, hängt auch von den Menschen ab, die dort am Ende einziehen. Vom Tübinger „Haus am Park“ höre ich jedenfalls, dass es nach unvermeidlichen Klärungsprozessen und Streitereien mittlerweile durchaus funktioniert.
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Überraschend lokal: Die Rückfront des Haus P im Allgäu zitiert die örtliche Heuschobertradition. Der Yonder-Entwurf interpretiert den Typus „gemütliches Ferienhaus“ ganz neu
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Mit Ihrem Büro Yonder sind Sie bekannt für unkonventionelle Architektur wie das „Haus P“ im Allgäu. Wie kommt man dazu?
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Uns ist wichtig, Bauherren dort abzuholen, wo sie stehen, und ihnen zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt. Dazu müssen wir ihnen zunächst genau zuhören und ergründen: Was meinen sie eigentlich genau? Was steht hinter ihren Wünschen? Und wie könnten wir diese auch ganz anders, besser umsetzen? Wir nehmen unsere Bauherren mit auf Reisen.
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Viele Bauherren wissen aber bereits zu Anfang an sehr genau, was sie wollen und was nicht.
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Das stimmt, aber genauso viele wissen nicht um ihre Möglichkeiten. Es wäre ja auch verrückt, wenn wir mit unserer jahrzehntelangen architektonischen Erfahrung ihnen nicht Optionen aufzeigen könnten, an die sie nicht gedacht hatten. Haus P beispielsweise entstand, weil die Hamburger Bauherren sich eine gemütliche Allgäuer Hütte für ihre Ferien wünschten. Wir haben uns dann erst einmal von der Umgebung inspirieren lassen. Die schräge Rückwand des Hauses beispielsweise ist ein Zitat traditioneller Heuschober dieser Region und dient gleichzeitig als Regenschutz. Am Ende entstand ein Haus, dessen Form die Bauherren so nie erwartet hätten, dessen Atmosphäre aber genau ihren Vorstellungen entsprach.
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Apropos Phantasie: Woher stammt eigentlich der Name Ihres Büros?
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Den haben wir uns von Siri Hustvedt entliehen. Die Schriftstellerin hat einen sehr schönen Essay über Räume und die Erinnerungen verfasst, die sie geprägt haben „Yonder“ ist ein altes englisches Wort, das dem alten deutschen „dorten“ entspricht. Das gefiel uns.
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Reduziertes Volumen: Weil die Kommune das geplante dreistöckige Ferienhaus nicht genehmigte, gliederten Yonder beim Haus S in Oberreute einen Raum kurzerhand aus. Der scheint um einen Baum zu wachsen – und birgt jetzt eine Sauna
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Runde Reminiszenz: Ihrem Entwurf für das Tagebau-Dokumentationszentrum Garzweiler verpassten Yonder ein Riesenrad als Erinnerung an die Schaufelbagger, mit denen hier die Erde aufgewühlt wurde
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Ein paar fixe persönliche Fragen zum Schluss, die wir allen Interviewpartnern
und -partnerinnen stellen. Los geht’s!
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Das wollte ich als Kind werden:
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Ich wollte auf jeden Fall immer im Freien und unmittelbar in der Natur arbeiten. Es kam anders.
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Der beste Rat meiner Eltern:
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Alle kochen immer nur mit Wasser.
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Jemand, von dem ich enorm viel gelernt habe:
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Nikolaus Parmasche, Assistent von Prof. Herms an der Akademie der Bildenden Künste in meinen 3. und 4. Studiensemester. Durch ihn habe ich Architektur lesen, verstehen und kommunizieren gelernt.
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Mein verkanntestes Talent:
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Ich kann tatsächlich Stricken.
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Etwas, mit dem ich auch meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Architekt nicht mehr klappen:
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Ich glaube, ich möchte tatsächlich gerne Architektin bleiben. Aber womöglich käme ich als Gastgeberin weit ...
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Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
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Ich konnte mir kürzlich meinen Traum eines großen Gartens erfüllen, in dem ich selbst arbeiten kann. Insofern bin ich auf absehbare Zeit ziemlich wunschlos.
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Der für Sie als Architekten aktuell inspirierendste SoMe-Account?
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Ich bin weder auf instagram noch LinkedIn.
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Mein guter Rat an jemanden, der/die es als Architekt zu etwas bringen will:
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Leidenschaft für die Sache, Durchhaltevermögen und Humor. Ohne diese drei geht es nicht.
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KATJA KNAUS
ist zusammen mit Benedikt Bosch die Gründungspartnerin von Yonder, einem Stuttgarter Architekturbüro mit aktuell fünf Mitarbeitenden. Die 1972 im Schwarzwald geborene Architektin studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und der ETSAV-UPC Barcelona und arbeitete nach ihrem Diplom bei Behnisch Architekten Stuttgart. Dort lernte sie auch ihren Büropartner kennen.
www.studioyonder.de
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Text:
Harald Willenbrock
Fotos:
Portrait Prof. Katja Knaus: © Uwe Ditz, www.uwe-ditz.com | Haus am Park, Haus P, Haus S. alle Fotos: © Fotografin: Brigida González, www.brigidagonzalez.de | Dokumentationszentrum Tagebau Garzweiler: © Yonder – Architektur und Design
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Ein ganzes Magazin über das Hochhausprojekt von MA Architekten: Die Blueprint B.16
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Spannende Einblicke:
Inspirierende Projekte und Lösungen in Anwendung.
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Ideen tanken
Lassen Sie sich inspirieren! Mit unseren out of the box-Stories für Architekten bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
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Fragen? Ideen? Projekte?
Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.
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Stefanie Wahl,
Hager Architektenkommunikation
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