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Was bewegt GRAFT, Lars Krückeberg?
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Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Wie bewegen wir uns heute und übermorgen? Mit Fragen wie diesen beschäftigen sich aktuell immer mehr Planer. Lars Krückeberg, Gründungspartner von GRAFT Architekten, über Senkrechtstarter, Solardrohnen und die Dynamik architektonischer Bastarde.
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Lars Krückeberg, wir sprechen im GRAFT-Büro unweit des Berliner Hauptbahnhofs. Wie sind Sie heute morgen hierhergekommen?
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Ich bin tatsächlich mal mit meinem Hybrid-BMW ins Büro gefahren, aber nur, weil meine Parkplakette abgelaufen war. Normalerweise nehme ich für die Strecke mein Fahrrad. Das geht auch schneller.
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Was ist Ihnen auf dem Weg in puncto Mobilität ein- und aufgefallen?
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Dass Autofahren in einer sich verändernden Metropole wie Berlin, in der ständig gebaut wird, natürlich total nervig ist. Motorrollerfahrer kreuzen einem kamikazemäßig vor die Kühlerhaube, andere Autofahrer schneiden einem den Weg, die Mobilitätsmodi geraten fortlaufend aneinander. Und weil die Berliner Schnauze mit nichts hinterm Berg hält, kriegst Du da gern morgens auf dem Weg ins Büro schon zu hören, was für eine Vollpfosten Du bist.
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Klingt ziemlich unentspannt.
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Ist es auch. Die gute Nachricht lautet: Unsere Mobilität wird sich deutlich ändern. Zum Beispiel, weil wir weniger Verkehrsmittel besitzen werden, aber mehr und unterschiedliche nutzen können. In den Metropolen werden Mobility Hubs entstehen, an denen man sein Lastenrad abstellen, aufs Leihfahrzeug um- oder in einen Volocopter einsteigen kann – je nachdem, was man gerade braucht und wohin die Reise gehen soll. Noch einmal grüner und entspannter wird es dann, wenn wir eines Tages mit autonomen Fahrzeugen fahren und Parkplätze und Verkehrsunfälle der Vergangenheit angehören werden.
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Autonome Mobilität wurde ja schon mindestens so häufig angekündigt, wie sie sich dann verzögert hat. Für wie hoch halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Jahr 2030 tatsächlich autonom unterwegs sind?
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In neun Jahren? Die Wahrscheinlichkeit schätze ich auf 50 Prozent. Vermutlich wird sich autonome Mobilität zunächst mit Kleinbussen durchsetzen, erst später im Individualverkehr. Aber dass sie kommt, steht außer Frage.
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Was auffällt, wenn über künftige Mobilität diskutiert wird: Gemeint ist fast immer die urbane. Auf dem Land aber wird Auto gefahren wie eh und je.
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Es stimmt, und darin steckt eine enorme Gefahr. Wenn wir das Land vergessen, gibt’s bei der nächsten Wahl einen Denkzettel.
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Architekten verbringen ihre Zeit eigentlich mit der Planung von Immobilien, GRAFT Architekten jedoch verstärkt mit Mobilitätsprojekten wie Volocoptern, Drohnen und Ladestationen für Elektromobilität. Warum?
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Mobilität ist Energie, und Energie ist die soziale Währung der Zukunft. Man wird künftig noch mehr zwischen Auto und Haus Energie tauschen können, je nachdem, was gerade gefragt ist. Und natürlich interessiert uns als Architekten diese Währung enorm.
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Sie arbeiten mit dem deutschen AirTaxi-Unternehmen Volocopter zusammen. Wie sind Sie zu diesem buchstäblich abgehobenen Projekt gekommen?
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Wir bei GRAFT geben wenig auf Kategorisierungen und machen XS-Projekte genauso wie XXL-Vorhaben, sofern sie uns interessieren. Und wir fanden dieses AirTaxi-Unternehmen und sein Vorhaben so toll, dass wir uns bei ihnen gemeldet und unsere Hilfe angeboten haben. Mit den Kollegen von Brandlab haben wir dann den Prototypen eines Start- und Landeplatzes für Volocopter entwickelt, der in Singapur gebaut wurde. Angesichts der verstopften Stadtzentren ist die Eroberung des Luftraumes eine logische Konsequenz.
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Also einen Flughafen für Senkrechtstarter.
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Natürlich, denn irgendwo muss man ja ein- und aussteigen. Das kann auf dem obersten Deck eines Parkhauses, auf dem Dach eines Wolkenkratzers oder auf der grünen Wiese geschehen – überall aber muss man sich fragen, wie man den Umstieg auf ein Lufttaxi räumlich und flugrechtlich organisiert. Mit der Entwicklung eines Vertiports bewegen wir uns also an der Schnittstelle zwischen User Experience, Markenarchitektur, Hochbau und Stadtentwicklung. Traumhaft. Für Projekte wie dieses studiert man doch Architektur!
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Das Konzept wollen Sie jetzt sogar nach Afrika tragen.
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Nicht ganz. Auf dem African Drone Forum in Ruanda haben wir zusammen mit DroneMasters ein neues Konzept präsentiert, das die schnelle und einfache Umsetzung eines dezentralen Drohnen-, Energie- und Bildungsnetzwerks ermöglichen soll. Unsere Idee ist, die bestehenden Funktionen unserer Solarkioske mit einer Drohneninfrastruktur zu verbinden. Auf diese Weise lassen sich in Regionen, in denen es keine Straßen gibt, Medikamente, Technologien und Waren sicher und schnell transportieren.
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Die dezentralen Kioske mit Solarpanels auf dem Dach haben Sie bereits vor zehn Jahren entwickelt. Wie geht es ihnen heute?
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Gut. Afrikaweit arbeiten 200 Solarkioske, davon allein 70 in Ruanda, was Solarkiosk zum größten Retailer des Landes macht. Mit eigener Stromgewinnung auf dem Dach können diese Kioske Medikamente und Getränke, Fisch und Fleisch kühlen, Handys laden und andere Businesses mit Energie versorgen. Die Solarkioske werden in Afrika gebaut und von lokalen Unternehmen betrieben. Wächst ein Solarkiosk zu einem SolarMarket, schafft er im Schnitt 15 Jobs – allein dadurch, dass an ihm dezentral Energie erzeugt wird. Wir haben also Energie und Menschen bereits vor Ort. Warum nicht beides nutzen, um Impfstoffe, Blutkonserven, Handys, Microchips, Dokumente und Anderes per Drohne von Solarkiosk zu Solarkiosk zu transportieren?
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In Deutschland haben Sie gerade vor die Essener E.ON-Zentrale den Prototypen einer ultraschnellen Ladestation gestellt. Das klingt im Vergleich zu Senkrechtstartern und Impfstoffdrohnen fast ein bisschen konventionell.
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Ist es aber nicht, sondern ein hochinteressanter Business Case. Bis Elektrofahrzeuge so schnell Energie nachtanken können wie Verbrenner, werden noch einige Jahre vergehen. In den zehn bis zwanzig Minuten, die ein E-Mobil-Fahrer wartend verbringt, bis sein Fahrzeug an der Schnellladesäule aufgeladen ist, verbirgt sich ein hochinteressantes Geschäftsmodell für Betreiber – und eine Einladung an Architekten, sich mit dieser Zeit funktional und räumlich auseinanderzusetzen. All das steckt in unserem Ladestation-Konzept für E.ON, einem der größten europäischen Ladesäulenbetreiber.
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Wie lautet der Kern Ihres Konzepts?
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Zunächst einmal ist es ein modulares Konzept, weil es an den Standorten unterschiedlichen Bedarf und Platz für Ladesäulen gibt. Wir haben unsere Ladestation deshalb so gestaltet, dass sich bei steigender Nachfrage sehr schnell zusätzliche Ladesäulen addieren lassen. Das eigentlich Aufregende aber ist der Content jenseits der Ladeinfrastruktur. Wir haben die Chance, die Tankstelle ganz neu zu erfinden. Warum nicht, während das Fahrzeug sauber auftankt, den Fahrern saubere Nahrung anstelle des aktuellen Tankstellen-Junkfoods anbieten? Warum ihnen nicht Massagestühle zur Verfügung stellen, um zwischendurch mal zu entspannen? Weshalb nicht Arbeitsplätze mit Highspeed-Internetanschluss einbauen, schließlich wird mancher in diesen 20 Minuten E-Mails beantworten oder Ideen in seinen Laptop klöppeln wollen? Mit anderen Worten: Die Tankstelle wird künftig zum Community Centre, und genau ein solches modulares haben wir für E.ON entworfen. Sobald die nötige Förderung da ist, wird es sehr schnell in Deutschland und Europa ausgerollt werden.
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Ihrem Mission Statement entnimmt man, dass sich GRAFT Architekten der „Produktion robuster Bastarde“ verschrieben haben. Was ist damit gemeint – und wo finden sich diese Bastarde?
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In einer globalisierten Welt ist das das Reine und Pure nicht überlebensfähig. Wir entwickeln daher nicht die eine einzige, perfekte Form, sondern leistungsstarke Hybride. Wir führen in unserer Arbeit vermeintliche Gegensätze zusammen und beantworten damit meist mehrere Fragen gleichzeitig.
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Ein Beispiel für einen solchen architektonischen Bastard?
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Die Häuser, die wir im flutzerstörten New Orleans mit Brad Pitt und seiner „Make it Right“-Stiftung gebaut haben, sind gleichzeitig eine der grünsten Siedlungen der USA. Alle tragen ein Platin-LEED-Zertifikat. Warum? Weil wir sie mit Bill McDonough nach Cradle2Cradle-Prinzipien geplant und gebaut haben. Es sind also nicht nur Ersatzhäuser für Flutopfer, sondern auch gebaute Beispiele, wie wiederverwendbare Häuser aussehen könnten. Zudem sind sie bezahlbar und haben alle ihre eigene architektonische Qualität. Damit sind sie sicher gegen die nächste Flut, die – wie Hurricane Ida gezeigt hat – ganz sicher kommen wird. Aus meiner Sicht sind sie damit außerordentlich schöne Bastarde. Dieser Dualismus ist ja schon in unserem Büronamen angelegt.
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Das Konzept der Stararchitektur war uns schon immer zuwider, denn Architektur ist grundsätzlich Teamarbeit. Wir bei GRAFT glauben an großartige Kooperationen wie mit Brad Pitt oder Andreas Spiess, der mit uns die Solarkioske realisiert hat. Schon deshalb kam ein personalisierter Name wie „Putz Krückeberg Willemeit“ für uns nicht in Frage – abgesehen davon, dass die Abkürzung ja „PKW“ gelautet hätte. Aber Scherz beiseite: Unser Name kommt vom „Graften“, also dem Auf-Propfen, Re-Informieren und Zusammenführen unterschiedlichster Dinge, die gemeinsam zu einer neuen Stärke führen.
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Ein paar fixe Fragen zum Schluss – bitte spontan und ohne viel Nachdenken beantworten. Los geht’s!
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Das wollte ich als Kind werden:
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Ich hatte nicht die geringste Ahnung, zu viele Interessen. Selbst als ich Architektur zu studieren begann, wusste ich noch nicht, dass ich Architekt werden würde.
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Der beste Rat meiner Eltern lautete:
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Nicht das zu machen, was sie gemacht haben. Also nicht in ihre beruflichen Fußstapfen als Lehrerin oder Journalist zu treten versuchen. Denn dann misst man sich sein Leben lang mit den Eltern, anstatt seinen eigenen Weg zu gehen.
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Jemand, von dem ich enorm viel gelernt/mitgenommen habe:
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Auch wenn es nach Name-Dropping klingt: Brad Pitt. Wegen seiner Empathie für die sozial Schwachen. Wegen seines Vertrauens in Innovationen. Und wegen seines Willens, niemals aufzugeben.
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Mein verkanntestes Talent:
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Ich habe das Glück, von dem leben zu können, was ich einigermaßen gut kann. Das finde ich auch genau richtig so. Talente sind dazu da, um ausgelebt zu werden, nicht, um sie im Verborgenen zu hegen.
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Etwas, mit dem ich meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Architekt mal nicht mehr klappen:
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Siehe Talentfrage – ich hoffe, die Frage stellt sich nie. Wenn doch: als Hochschullehrer vielleicht. Oder als Architekturkritiker. Ich bilde mir auch ein, kein ganz schlechter Fußballkommentator zu sein.
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Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
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Ein Weingut bauen. Wir sind da bereits in einem sehr interessanten Projekt in Argentinien involviert.
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Mein guter Rat an jemanden, der es als Architekt zu etwas bringen will:
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Auf die eigene Stimme hören. Eine eigene Kraft und eigene Ideen entwickeln. Und dann: sich Gleichgesinnte suchen, mit denen man sie realisiert.
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LARS KRÜCKEBERG
ist mit Wolfram Putz und Thomas Willemeit einer der Gründungspartner von GRAFT Architekten. Die Berliner 100 Mitarbeiter-Firma mit Ablegern in Shanghai und Los Angeles hat sich ursprünglich mit Kooperationen mit Brad Pitts „Make It Right“-Stiftung einen Namen gemacht, engagiert sich aber in unterschiedlichsten Residential- und Öffentlichen Bauten rund um den Globus. 2018 war GRAFT für den Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale Venedig verantwortlich. Aktuell baut die Firma gerade an einem Bürogebäude für sich selbst in der Berliner Invalidenstraße, das Wohn- und Geschäftsquartier Eiswerk sowie einen überarbeiteten Markenauftritt für Mercedes-Benz. Krückeberg ist einer der Co-Autoren von „Architecture Activism“ über GRAFT-Projekte, die eine Antwort auf soziale Probleme und gesellschaftliche Bedürfnisse sind.
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Text:
Harald Willenbrock
Fotos:
Portrait Lars Krückeberg, Fotograf: Pablo Castagnola | AirTaxi-Landeplatz, Fotograf: Raphael Olivier | Prototyp VoloPort, Fotograf: Nikolai Kazakov | Mobile E-Ladestation, Copyright: GRAFT | Drohnen-Netzwerk, Copyright: GRAFT | Solarkiosk, Copyright: Solarkiosk Solutions GmbH | Siedlung Flutopfer, Copyright GRAFT
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Alles für Ihr Projekt. Alles außer gewöhnlich. Alles aus einer Hand. hager.de/arc
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