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Wann geht’s an die Substanz, Matthias Haber?
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Binnen zehn Jahren soll sich die Zahl der Bestands-sanierungen verdoppeln – noch immer aber wird zu viel abgerissen. Hild und K Architekten aus München haben sich mit behutsamen Altbausanierungen in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht. „Wir schreiben die Baugeschichte fort, und häufig entdecken wir dabei großartige Geschichten“, sagt Matthias Haber, einer der Partner des Büros und erklärt, was all das mit Impro-Theater zu tun hat.
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Zeitgemäße Aufwertung: Ein Institutsgebäude der TU München aus den Sechziger Jahren überführten Hild und K ins neue Jahrhundert. Während zahlreiche Bauteile und Gestaltungsmuster übernommen wurden, erhielt das Haus ein Update seines Charakters
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Alle reden über, viel zu wenige tun es: Warum wird noch so wenig in Altbausubstanz investiert?
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Weil der Wert des Bestands bis vor kurzem noch nicht so hoch gewertet wurde. Meist ging es eher schlicht um eine Maximierung des ökonomischen Immobilienwertes. Hinzu kommt: seit der Moderne und den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sind wir Architekten nicht mehr primär für die Aufgabe des Bestandserhalts ausgebildet worden. Das war früher anders. Schaut man sich wirklich alte Gebäude an, erkennt man, dass sie im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aus und umgebaut wurden und der Hauptjob der Architekten früherer Tage nicht im Neu-, sondern im Weiterbau bestand. Da müssen wir wieder hin.
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Den planerischen Mehraufwand bei Bestandsbauten bezahlt einem keiner. Muss man als Architekt das Bauen im Bestand auch ein Stück weit wollen?
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Umbau und Sanierung werden schlechter honoriert als Neubauten, weil die anrechenbaren Kosten konträr zur höheren Komplexität niedriger ausfallen. Daran ändert auch die mitzuverarbeitende Bausubstanz und der Umbauzuschlag nichts. Wenn man sich aber darauf einlässt, wirkt die Auseinandersetzung mit dem Bestehenden enorm kreativitätsförderlich. Es ist wie beim Impro-Theater, wo man auf Zurufe aus dem Publikum reagieren und daraus etwas machen muss. Widerstände oder Schwierigkeiten sind manchmal auch etwas Positives.
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Solitär statt Parkplatz: Am Bremer Hohentorsplatz schufen Hild und K auf einem ehemaligen Parkplatz ein Haus für Studierende mit feinsinnigen Details
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Bei welchem prominenten Gebäude ist das aus Ihrer Sicht außergewöhnlich gut gelungen?
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Schauen Sie sich die Alte Pinakothek in München an: Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, hat Architekt Hans Döllgast sie in den Fünfzigerjahren wieder aufgebaut und dabei stets die Charta von Venedig im Blick gehabt, also die Lesbarkeit der Zeitschichten erhalten. Fehlende Fassadenteile beispielsweise hat Döllgast nicht einfach rekonstruiert, sondern durch unverputztes Ziegelmauerwerk ersetzt, auf diese Weise erkennbar gemacht und damit einen besonderen Erschließungsraum geschaffen. Das Alte stärken, indem wir es in einen neuen Lebensabschnitt überführen und die Nutzbarkeit des Gebäudes erhalten: Darum geht es. Denn was nützt uns der Erhalt denkmalgeschützter Bestandsbauten, wenn wir sie nicht nutzen?
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Kann die Zurückhaltung der Planer ein Stück weit auch daran liegen, dass sie beim Bestandsbau ihr Ego zurücknehmen müssen? Schließlich müssen sie sich mit dem auseinandersetzen, was da ist, anstatt ihre eigenen Ideen und ihren eigenen Wurf umzusetzen.
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Die Vermutung liegt nahe. Ich bin aber im Gegenteil immer wieder überrascht, wie selbst namhafte Architekten, denen man ein großes Ego unterstellen könnte, sich dem Bestand und seiner Bewahrung unterordnen. Nehmen Sie David Chipperfields Sanierung der Berliner Neuen Nationalgalerie oder des Berliner Neuen Museums: Dort hat der Architekt sich total auf das eingelassen, was da war und ist.
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Ihr Büro Hild und K hat sich mit Bestandsbauten bundesweit einen Namen gemacht. Wie ist das bei Ihnen selbst?
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Es stimmt schon, dass man bei der Altbausanierung selten mit einer großen Idee aufschlagen kann. Es geht eher darum, in einen Dialog mit dem zu treten, was da ist. Das ist sehr viel aufwändiger als Neubau, aber auch einer der Gründe, warum ich es so gerne mache. Als Bestandsarchitekten schreiben wir die Geschichte fort, und häufig sind es großartige Geschichten, die wir nur wiederentdecken und wiederbeleben müssen.
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Subtiles Zitat: Nachdem der Vorgängerbau in der Nürnberger Werderstraße nicht zu retten war, übernahmen Hild und K historische Fassadenteile als Spolien in die Brüstungen ihrer Wohnanlage
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Nennen Sie mal ein Beispiel.
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Ein gutes ist das Bikini Berlin, mit dem Paul Schwebes und Hans Schoszberger am Bahnhof Zoo Mitte der Fünfziger Jahre eine moderne Ikone schufen. Seinen Namen verdankte es seiner auffälligen Architektur mit einer offenen Kolonnade in der Mitte. Das Gebäude war aber im Laufe der Jahrzehnte bis zur Unkenntlichkeit überbaut worden. Wir haben das Bikini nach einem Masterplan von SAQ architects vollständig modernisiert und gleichzeitig seinen ursprünglichen Charakter wieder hergestellt. Wobei das genaugenommen nicht ganz stimmt: Wir haben die basale Architektursprache fortgeschrieben und mit neuen Leben gefüllt, neue Nutzungen und Räume mit dem Bestand verwoben. Bestand und Umbau verschmelzen heute zu einem einheitlichen Gebäude, genauso wie die Autorschaft von Urheber- und Umbauarchitekten.
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Wiederbelebung einer Fünfziger Jahre-Ikone: Das Bikini Berlin erhielt ein zweites Leben als Hotel und Einkaufszentrum
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Bauen Sie bei der Revitalisierung eines Bestandsgebäudes eigentlich auch bereits den nächsten Umbau mit ein? Denn der steht – sofern die Immobilie nicht abgerissen wird – ja früher oder später unweigerlich an.
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Natürlich, das ist ein sehr wichtiger Aspekt unserer Arbeit. Ich nenne das Gebäuderesilienz. Wir Planer müssen heute die Voraussetzungen schaffen, dass zukünftige Architekten unseren Gebäuden andere Nutzungen einbauen können. Unser Bestand muss immer ein Angebot leisten, das unterschiedlichen Bedarfen gerecht wird, darunter auch solchen, die wir uns heute vielleicht noch gar nicht vorstellen können. Das bedeutet aber nicht, dass wir gesichtslose Hüllen bauen müssten.
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Faustregel: welche Arten von Gebäuden aus welchen Baudekaden lassen sich eher wiederverwenden, welche nicht?
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Da würde ich keine generelle Aussage treffen, denn es kommt immer drauf an. Selbst die Bauten aus Mangelperioden wie der Nachkriegszeit lassen sich revitalisieren, sofern wir bereit sind, bei unseren heutigen Komfortansprüchen Abstriche zu machen.
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Wenn Sie mal zehn, mal 50 Jahre nach vorne schauen: Welchen Anteil wird das Bauen im Bestand künftig haben?
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Ich glaube, dass sich der Anteil der Bestandsprojekte in den kommenden zehn Jahren leider höchstens verdoppeln wird. Bis dahin wird sich auch in der Baurechtssituation und bei Auflagen für den Abriss einiges geändert haben. In 50 Jahren aber sollte der Bestandsbau bei mindestens 90 Prozent der Bauprojekte liegen.
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Einige Architekten meinen, wir dürften heute angesichts von Ressourcenknappheit und Klimakrise gar nicht mehr neu bauen.
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So weit würde ich nicht gehen. Es kommt ja darauf an, wie wir neu bauen, mit welchen Materialien und Konzepten. Gut möglich, dass es Neubau künftig nur noch als Bestandteil der Altbausanierung und Fortschreibung des Bestehenden gibt. Damit wären wir Architekten dann wieder bei dem, was wir die vergangenen Jahrhunderte immer gemacht haben.
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Neue Ausblicke für ein altes Haus: Sanierung eines denkmalgeschützten Wohnhauses in der Münchener
Reichenbachstraße
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Ein paar fixe Fragen zum Schluss – bitte spontan und ohne viel Nachdenken beantworten. Los geht’s!
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Das wollte ich als Kind werden:
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Skirennfahrer. Mein Idol war Ingemar Stenmark.
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Der beste Rat meiner Eltern:
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Es macht frei, Menschen so zu lassen, wie sie sind.
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Jemand, von dem ich enorm viel gelernt habe:
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Mein verkanntestes Talent:
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Holzarbeiten. Ich habe schon in der Schule Holzmodelle gebaut und geschnitzt.
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Etwas, mit dem ich auch meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Architekt nicht mehr klappen:
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Als LKW-Fahrer, denn seit der Bundeswehrzeit verfüge ich über einen LKW-Führerschein. Spaß gemacht hat es mir allerdings nicht.
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Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
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Mal pünktlich von der Arbeit nach Hause zu kommen.
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Ein inspirierender instagram- oder LinkedIn-Account:
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Inspirierend ist für mich eher die Besichtigung von Gebäuden, der echte Vor-Ort-Eindruck. Ich habe mir vor einiger Zeit in den USA Bauten von Adler & Sullivan, Mies van der Rohe und Frank Lloyd Wright angeschaut. Diese Vor-Ort-Eindrücke verankern sich sehr viel stärker im Gedächtnis als irgendein Social Media-Post.
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Mein guter Rat an jemanden, der/die es als Architekt zu etwas bringen will:
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Spaß haben. Es ist so ein schöner Beruf. Das sollte man ob all der Arbeit bitte nie vergessen.
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MATTHIAS HABER
Neben Andreas Hild und Dionys Ottl ist der gebürtige Münchener Mitinhaber des Architekturbüros Hild und K mit rund 70 Mitarbeitenden. Als Architekt interessiert sich Haber besonders dafür, wie Fassaden als »Gesichter der Stadt« den öffentlichen Raum definieren. Vor zwei Jahren hat er dazu sogar ein Buch („Der Sockel: Architektur - Wirkung – Wiederbelebung“) veröffentlicht. Mit seinen Kollegen bei Hild und K arbeitet Haber derzeit unter anderem an der Sanierung des Huthmacherhauses (einen Nachbarn des Berliner Bikini-Hauses) und der Stadterweiterung Freiham/München. Haber ist Professor für Entwerfen und Konstruieren im Bestand an der Berliner Hochschule für Technik (BHT)
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Bikini Berlin: Revitalisierung einer Fünfziger Jahre-Ikone
Von Hild und K Architekten.
In unserem Architektur-Magazin – Hager Blueprint B.12.
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Ideen tanken
Mit unseren "out of the box"-stories für Architekten bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
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Fragen? Ideen? Projekte?
Ich freue mich, von Ihnen
zu hören.
Stefanie Wahl
Hager Architektenkommunikation
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Alles für Ihr Projekt. Alles außer gewöhnlich. Alles aus einer Hand. hager.de/arc
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Text:
Harald Willenbrock
Fotos:
Titel/Porträt Matthias Haber © Wilfried Dechau (über Hild und K) | Bilder: Institutsgebäude 0505 TU München © Michael Heinrich I Wohnen am Hohentorsplatz, Bremen © Michael Heinrich I Wohnen in der Werderstrasse, Nürnberg © Michael Heinrich I Bikini Berlin © Franz Brück (über Hild und K) I Wohnen in der Reichenbachstrasse, München © Michael Heinrich I Bikini Berlin © Mark Seelen I Portrait Johanna Meyer-Grohbrügge © Thomas Meyer | Portrait Walter Waldrauch © Petra Steiner | Portrait Sascha Arnold © Fabrice Dall'Anese | Portrait Claudia Grundis © Tom Tiora (Haus am See) | Portrait Eva Marguerre und Marcel Besau © Silke Zander (Studio Besau Marguerre GbR)
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Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Newsletter das generische Maskulin verwendet. Eine Benachteiligung i. S. v. § 1 AGG, gleich welcher Art, ist damit nicht intendiert.
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