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Wie bauen wir besser und dennoch billiger, Matthias Kraemer?
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Auch bei den Bochumer SSP Architekten laufen derzeit viele
Kosten- und Terminpläne aus dem Ruder. Architekt Matthias Kraemer ist dennoch überzeugt, dass sich Nachhaltigkeit und Budgets am Bau vereinbaren lassen. Sein Büro gibt darauf sogar ein eigenes Siegel.
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Prominenter Nachbar: Auf dem Gelände einer ehemaligen Steinkohlenzeche in Lünen erweiterten SSP Architekten das örtliche Technologiezentrum. Sein Nachbar ist das ikonische „Ufo“ des Designers Luigi Colani
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Nach Jahren des Baubooms stornieren Bauherren ob steigender Zinsen und Materialkosten gerade reihenweise Neubauprojekte. Spüren auch Sie die Krise?
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Zum Glück nicht, denn wir bauen mehrheitlich für öffentliche Bauherren und außerdem zu etwa drei Viertel im Bestand. Aber natürlich ächzen auch unsere Bauherren unter den permanenten kleineren und mittleren Kostenüberschreitungen, die wir – beziehungsweise die wirtschaftliche Gesamtsituation – ihnen zumuten müssen.
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Was können Architekten dagegen tun?
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Es gibt hier einige Möglichkeiten, die mit viel Erfahrung und einer guten Datengrundlage dem Auftraggeber zu Gute kommen. Wir kalkulieren auf Basis von Vergleichsprojekten, indexieren den prognostizierten Vergabeschwerpunkt des aktuellen Projektes, bestimmen Besonderheiten und bewerten diese und last but not least: wir „spielen“ weitere Kostenerfahrungen über Projekte Dritter (Deutscher Baukostenindex) dagegen. Grundsätzlich gibt es bei jedem Projekt einen 5- bis 15-prozentigen Puffer, je nachdem, ob es sich um einen Neubau oder eine komplizierte Sanierung handelt. Gleichwohl müssen wir als Büro heute viel mehr Energie in die Bauleitung stecken und schreiben enge Tages- und Wochen-Takt- statt Terminpläne, damit auf unseren Baustellen die mit zum Teil großen Personalengpässen behafteten ausführenden Firmen überhaupt im Termin bleiben.
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Epochale Ergänzung: Das um die Jahrhundertwende erbaute Berufskolleg des Dortmunder Architekten Friedrich Kullrich kernsanierten und erweiterten SSP Architekten (Fertigstellung: 2018)
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Nicht nur die Kosten steigen, auch die Anforderungen an Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit von Gebäuden. Die aber machen das Bauen noch einmal teurer. Wie kommen wir aus diesem Dilemma raus?
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Ein Dilemma ist es nur, wenn man allein auf die höheren Investitionskosten schielt und nicht die Folgekosten für nachhaltige Gebäude einkalkuliert. Betrachtet man ihren gesamten Lebenszyklus – und nur diese Sichtweise ist sinnvoll – sind nachhaltige Gebäude nämlich keineswegs teurer. Weniger ist hier häufig mehr und oft dann auch preiswerter und besser. Wir sprechen hier vom dritten Nachhaltigkeitsprinzip, der ressourcenschonenden Suffizienz.
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Einem Investor, der ein Gebäude lediglich baut, um es sogleich zu verkaufen, können die Lebenszykluskosten jedoch weitgehend schnuppe sein.
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Investorenarchitektur ist in der Tat ein Problem. Bei öffentlichen oder privaten Bauherren hingegen habe ich noch keinen erlebt, der bei Amortisationszeiten von 5-7 Jahren für eine Photovoltaik- oder Geothermie-Anlage seinen Kopf geschüttelt hätte. Bei denen rennen wir heute mit dem Thema Nachhaltigkeit offene Türen ein, ganz anders als noch vor drei bis vier Jahren. Heute können wir am Technologiezentrum Bochum eine rund 1000 Quadratmeter große Grünfassade inclusive Wasserkaskaden planen – ein Thema, das auch für uns in dieser Größenordnung und Ausgestaltung neu ist.
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Neue Heimat: Mit dem 2070 qm großen BlueOffice im Bochumer Technologie-Quartier gaben sich SSP Architekten einen hocheffizienten, modular angelegten Firmensitz
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Damit haben Sie ein Problem, das viele Planungsbüros umtreibt: woher nehmen Sie die Fachkompetenzen, die es für ressourcenschonende und klimaresiliente Gebäude braucht?
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Bei SSP Architekten und Ingenieure arbeiten wir nach den Prozessen integraler Planung und sind daher in interdisziplinärer Zusammenarbeit erprobt. Als 200 Mitarbeitenden-Büro können wir die nötigen TA-Planer, Brandschützer und Freiraumplaner aus den eigenen Reihen ins jeweilige Projektteam holen. Das macht uns vielleicht ein bisschen teurer, gibt unseren Bauherren aber die Gewissheit, dass wir ohne Schnittstellenverluste alle wesentlichen Gebäudeaspekte mitplanen. Wir haben außerdem Kompetenzteams gebildet, die zu Bauthemen wie Ressourceneffizienz oder Klimaneutralität forschen und innovative Lösungen umgehend in Anwendung bringen. Das tun wir ganz deutsch-untypisch auch, bevor diese 120-prozentig erprobt sind. Der überwiegende Anteil unserer Auftraggeber findet das gut.
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Mit „GreytoGreen © “ hat ihr Büro ein eigenes Label für nachhaltiges Bauen entwickelt. Brauchte es wirklich ein weiteres Bausiegel?
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Mit unserem Siegel legen wir den Fokus auf 20 ökologische Aspekte des Planens und Bauens. Bei den gängigen Siegeln wie DGNB, LEED und BREEM hingegen werden soziale und ökonomische Aspekte genauso bewertet wie die ökologischen. Das halte ich in der aktuellen Umwelt- und Klimakrise aber für die falsche Gewichtung. Ich schätze, dass wir alle ab 2030 so gut wie gar nicht mehr neu bauen, sondern aufstocken, erweitern und ausbauen werden – und das mit recyclebaren Materialien. Diese Entwicklung haben wir mit unserem geschützten „GreytoGreen © “ Siegel vorweggenommen. Das hatte übrigens noch einen erfreulichen Nebeneffekt, den wir gar nicht auf dem Schirm hatten.
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Prädikat grün: Das Technologiezentrum Ruhr entwickelten die Planer nach dem Maßgaben ihres selbstentwickelten GreytoGreen © -Zertifikats
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Wir gewinnen heute viel leichter die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir brauchen. Als ökologisch orientiertes Büro erhalten wir sehr viel mehr Initiativbewerbungen, denn die Architektinnen und Architekten von heute wollen ja nicht mehr nur schön, sondern auch klimabewusst bauen. Bei uns können sie es.
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Sie persönlich planen und bauen nicht nur eifrig, sondern feuern auf LinkedIn Diskussionen um Themen wie Holzbau und Städteplanung an. Warum?
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Ich finde, als Architektinnen und Architekten haben wir eine Verantwortung gegenüber
Gesellschaft und Umwelt. In deren Interesse müssen wir planen und bauen, und über das Wie und Wo diskutiere ich gern mit anderen. Ich würde mich selbst als dem Menschen zugewandt beschreiben. Wäre ich das nicht, wäre ich nicht Architekt, sondern vielleicht Broker oder Versicherungsmathematiker geworden.
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Pädagogisch wertvoll: Die Ratinger Elsa Brandström-Schule legten SSP Architekten mit verschatteter Fassade, Photovoltaikanklage, Begrünung und Regenwassernutzung maximal klimaresilient an
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Ein paar fixe Fragen zum Schluss – bitte spontan und ohne viel Nachdenken beantworten. Los geht’s!
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Das wollte ich als Kind werden:
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Der beste Rat meiner Eltern:
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„Mach das, was Dir Freude macht.“ Und auch wenn ich bekanntlich nicht Musiker geworden bin, habe ich etwas anderes gefunden, was mir Freude macht.
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Jemand, von dem ich enorm viel gelernt habe:
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Von allen Profis, die demütig sind und ihr Wissen nicht nach außen kehren, sondern weitergeben.
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Mein verkanntestes Talent:
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Etwas, mit dem ich auch meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Architekt nicht mehr klappen:
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Als Berater im Spannungsfeld Stadtplanung-Architektur-Ökologie. Dort gibt es zukünftig genug zu tun.
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Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
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Ein komplett autarkes Quartier planen und bauen.
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Ein inspirierender instagram- oder LinkedIn-Account:
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Die Accounts von allen, die konkret nach Lösungen für den Klimawandel suchen.
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Mein guter Rat an jemanden, der/die es als Architekt zu etwas bringen will:
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Du brauchst Offenheit für Nachdenklichkeit, Ideen und Inspiration. Und über allem steht die gute Kommunikation.
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MATTHIAS KRAEMER
arbeitete nach seinem Architekturstudium an der TU Karlsruhe als Wettbewerbsarchitekt, Projektleiter und Geschäftsführer eines bundesweit bekannten Generalübernehmers. Heute ist er Architekt und Vorstandsvorsitzender bei SSP AG Architekten und Ingenieure mit 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Büros in Bochum, Berlin, Karlsruhe und Aachen. Neben dem Kerngeschäft Integrale Planung, Architektur und Städtebau übernimmt sein Unternehmen auch die Fachdisziplinen Brandschutz, Projektsteuerung, Immobilienstrategien, Projektentwicklung und Gebäudemanagement. Zu SSP’s bekannteren Projekten zählen das vielfach ausgezeichnete Forschungszentrum BiK-F in Frankfurt am Main, die Sanierung vom Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin, das Kommunikationsgebäude BlueOffice im Technologie-Quartier Bochum sowie die Erweiterung des Bochumer Möbelhauses Hardeck zu Europas erstem Nullenenergie- Möbelhaus. Aktuell arbeitet Kraemers Team gerade am Umbau der Stadthalle Karlsruhe zu einem klimaneutralen Bau.
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Text:
Harald Willenbrock
Fotos:
Titel/Porträt Matthias Kraemer © Fabien Holzer | Bilder Erweiterung Technologiezentrum, Lünen © Joachim Schumacher I Fritz-Henßler-Berufskolleg, Dortmund @ Jörg Hempel I Technologie-Quartier, Kommunikationsgebäude Blue Office, Bochum, Hydraulikzylinder @ Fabien Holzer I Technologiezentrum Ruhr @ loomn - architekturkommunikation I Elsa Brandström-Schule, Ratingen @ SSP AG
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Architektur-Magazin –
Hager Blueprint B.18
Voraussichtlich ab August 2024 verfügbar.
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Stefanie Wahl,
Hager Architektenkommunikation
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Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Newsletter das generische Maskulin verwendet. Eine Benachteiligung i. S. v. § 1 AGG, gleich welcher Art, ist damit nicht intendiert.
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