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Wie unbequem müssen Architekten sein, Peter Haimerl?
Peter Haimerl ist ein Mann mit einer Mission. Der Architekt rettet reihenweise verfallene Bauernhäuser, kämpft für die Wiederbelebung toter Ortskerne und denkt dabei konsequent modern. Bei vielen eckt der Münchener Planer mit seiner Konsequenz an. Uns erklärt er, wieso er Widerstand schätzt, warum Architekten sich nicht als Dienstleister verstehen sollten und weshalb in der Provinz heute sehr viel mehr geht als in der Stadt.
 
 
Herr Haimerl, ist es Kompliment oder Beleidigung, Sie als Provinzler zu bezeichnen?
Es ist mir egal. Ich bin in einem abgelegenen Weiler im Bayerwald aufgewachsen, meine Mama hat mich antiautoritär erzogen. Mit der Provinz, an deren Regeln wir uns ohnehin nicht hielten, verband uns wenig. Beim Studium in München aber war meine Herkunft natürlich ein Thema, da wurde ich permanent auf sie hingewiesen. Für mich war es keines, ich arbeitete mit Zoomtown an der Vision einer europäischen Stadt und der Weiterentwicklung von Methoden und Theorien.
Und dennoch haben Sie sich in den letzten Jahren vor allem mit mutigen architektonischen Rettungsaktionen auf dem Land einen Namen gemacht.
Dass ich zurück in den Bayerwald ging, war reiner Zufall: Ich erbte ein vom Verfall bedrohtes Waidlerhaus, in das ich mich schon als Kind verliebt hatte. Das wollte ich bewahren.
Gleich dieses erste Projekt machte Sie weit über die Region hinaus berühmt, denn das 180 Jahre Bauernhaus retteten Sie auf höchst unkonventionelle Weise: Sein Inneres ließen Sie mit einem 20 cm starken Skelett aus Schaumglasschotter-Beton auskleiden. Das Interieur von „Birg mich, Cilli“, wie das Projekt heißt, wirkt seither wie eine moderne Mönchszelle. Äußerlich altert es ungehindert weiter.
Ein zentraler Gedanke unseres Forschungsprojekts Zoomtown lautete, dass wir Europäer unsere Gesellschaft updaten müssen, indem wir unsere Vergangenheit retten. Für mich führte daher ein direkter Weg von der Metaebene Europa zu diesem Einsiedlerhof im Bayrischen Wald. Ein Teil unserer Geschichte steckt auch in etwas vermeintlich Minderwertigem wie diesem Häuschen mit seinem gestampften Lehmboden und abbröckelndem Putz. Es war daher völlig klar, dass es gerettet werden muss. Ich wollte seine Geschichte bewahren, indem ich es in die Zukunft hineinentwickelte.
Dafür hätten Sie das Einsiedlerhaus ja auch klassisch restaurieren können. Sie aber haben 30 m3 Beton auf den Berg gepumpt und ein Projekt geschaffen, über das selbst in Chile und Australien die Architekturkritiker staunten.
Für meine Frau, mit der ich zusammen das Haus renoviert habe, kam eine Jodelhüttenrenovierung genauso wenig infrage wie für mich. Die Disney-isierung der ländlichen Baukultur ist uns beiden ein Gräuel. Andererseits wollten wir aber auch nicht mehr frieren.
Wenn Sie heute übers Land mit seinen ausfransenden Ortsrändern, Plastikfenstern und Toskana-Villa-Karikaturen fahren – da können Sie doch überall das Verschwinden der ländlichen Bautradition miterleben.
Ich habe ja auch lange dagegen gekämpft. Mittlerweile ist die Entwicklung aber derart manifestiert, dass es sinnlos wäre, an ihr zu verzweifeln. Vielleicht ist hier eine höhere Intelligenz am Werk, die sich selbst organisiert – so, wie sich Städte und Gemeinschaften über die letzten 500 bis 800 Jahre immer wieder selbst organisiert, deformiert, Fehler korrigiert und innoviert haben. In den nächsten Jahren werden wir immer mehr Entscheidungshoheiten an Künstliche Intelligenz abgeben – das geht auch gar nicht anders, weil die Komplexität des Planens und Bauens so extrem geworden ist. Unsere Eingriffsmöglichkeiten schrumpfen.
Welche Aufgabe bleibt dann noch für Architekten?
Wir müssen die philosophischen, architektonischen und städteplanerischen Leitplanken definieren, innerhalb derer Künstliche Intelligenz entwirft und plant. Wer sagt Ihnen in Zukunft, wie schöne Räume aussehen werden? Das kann keine KI. Deshalb wehre ich mich auch vehement gegen das Selbstbild des Architekten als Dienstleister: Wer immer nur Dienst leisten will, bleibt stets ein Rädchen im Getriebe. Wir Architekten aber haben die Aufgabe, unsere menschliche Umwelt zu gestalten. Das ist das Gegenteil eines Dienstleisterjobs. Entwickeln und bauen wir, was ein Ort wirklich braucht? Oder führen wir lediglich aus, was wir glauben, dass man von uns erwartet?
„Wir Architekten müssen jetzt aufhören, die Rolle der Kritiker und der Skeptiker einzunehmen“, haben Sie einmal in einem Interview gefordert. „Wir müssen handeln. Jetzt.“
Absolut. Wir Architekten müssen uns von der Vorstellung verabschieden, keine Verantwortung für das zu tragen, was wir da bauen. Wir arbeiten mitunter Jahre an einem Bauwerk, das dann ein Vielfaches der Planungs- und mitunter sogar unserer Lebenszeit in der Welt stehen wird. Wie kann man sehenden Auges etwas bauen, das offensichtlich Mist ist? Wenn ich in einen kleinen Ort ein Konzerthaus setze und es funktioniert nicht, liegt die Schuld primär bei mir. Auf der anderen Seite ist das Maß der Verantwortung, die wir als Architekten unter Anderem für Terminpläne, Kosten und Gewährleistung tragen, auch ohne all das schon immens. Ich kann völlig verstehen, wenn man sich da nicht noch mehr aufhalsen will, zumal einem das keiner bezahlt. Aber wenn Sie als Architekt nicht wirklich Verantwortung für Ihre Projekte übernehmen, wird man Ihnen auch nicht vertrauen. Dann sind Sie wie einer jener Verkäufer, die einem nach dem Mund reden – Hauptsache, sie verkaufen irgendetwas. Vertrauensbildend ist das nicht.
Sie haben vor einigen Jahren etwas sehr Mutiges getan und mitten ins Bayerwald-Städtchen Blaibach ein Konzerthaus gepflanzt. Woher nimmt man eine solche Chuzpe?
Auch diese Idee stammt von Zoomtown, weil wir uns gefragt haben, wie die Welt funktionieren sollte. Ein Teil dieser Welt ist Kultur, und die gehört selbstverständlich auch nach Blaibach. Für das Konzerthaus brauchte es daher überhaupt keine Chuzpe. Was es brauchte, war das Glück, mit dem Bariton Thomas Bauer jemanden vor Ort zu haben, der ein solches Haus mitdenken und bespielen kann.
Für das Konzerthaus haben Sie zwar weltweit Ehre und Anerkennung erhalten, vor Ort aber massive Gegenwehr erlebt.
Gegenwind kriegen wir auch in München, wenn wir ein altes Bauernhaus sanieren. Die Großstädte werden überschätzt, da hat sich vielfach eine Sättigung eingestellt, bei der es nur noch um die Sicherung eigener Pfründe geht. Auf dem Land hingegen geht noch was, die Menschen sind dort viel offener. In der oberfränkischen Korbmacherstadt Lichtenfels bauen wir gerade ein Museum, mit dem wir an die Grenzen des Baubaren gehen. Finanziert wird das Ganze von einer ortsansässigen Unternehmerfamilie, die ihren Ort voranbringen will. Nun stellen Sie sich so etwas einmal in München vor!
Würden Sie jungen Architekten also empfehlen, aufs Land zu gehen?
Das tue ich seit Jahren. Früher waren Architekten Urban Hoppers, die von Büro zu Büro und Metropole zu Metropole hüpften. Als ich vor einigen Jahren in Berlin in einem arch+-Vortrag zum Wechsel aufs Land aufforderte, schauten die jungen Architekten noch alle betreten aufs Parkett. Das hat sich total verändert. Heute finden Sie zum Beispiel in Berlin engagierte Büros, die engagiert auf dem Land planen und bauen.
Wenn man Sie so reden hört, spürt man: Der Mann hat eine Mission.
Mission? Unsinn, das ist völlig übertrieben. Ich betreibe meinen Beruf mit Leidenschaft, das ist alles.
Sie sind mit ihrem Büro gut ausgelastet und haben dennoch vor einiger Zeit in der 8.300 Einwohner-Stadt Viechtach die Aufgabe des Stadtplaners übernommen. Warum?
Weil ich in meiner Heimatstadt Verantwortung übernehmen wollte. Ich habe da keine Sekunde gezögert, bin mit voller Leidenschaft und Vehemenz rangegangen. Anders ging es auch gar nicht.
Nach drei Jahren beschloss der Viechtacher Stadtrat allerdings, Ihren Vertrag nicht zu verlängern. Was haben Sie aus der Erfahrung gelernt?
Nichts, denn ich hatte meine Demission ja provoziert. Ich hatte die Frage, ob ein altes Haus in der Innenstadt erhalten wird, zur Schicksalsfrage zugespitzt. Meine Warnung lautete: Wenn wir dieses Haus nicht bewahren, werden wir auch andere nicht retten können. Eines Morgens kamen dann die Bagger.
Sind Sie gescheitert?
Nein, denn in Viechtach ist ja durchaus etwas entstanden. Wir haben einige Häuser gerettet, und auch jetzt wird dort noch gebaut. Als Architekt ist man aber immer darauf angewiesen, dass vor Ort gewollt wird, was Sie bauen. Ich verliere nicht gern, aber ich verliere meistens.
Wie gewinnt man Verbündete für seine Ideen?
Zuallererst einmal, indem man nicht permanent überlegt, was der Bauherr denn möglicherweise wünschen würde. Was will der Bauherr? Diese Frage geistert allerorten durch Entwurfssitzungen und Büros. Dabei weiß der Bauherr in den allermeisten Fällen gar nicht, was er will. Gerade deshalb sucht er ja den Rat und das Wissen des Architekten.
Woher nehmen Sie die Energie, trotz aller Widerstände und Enttäuschungen immer weiterzumachen?
Ich mag Widerstände. Die Wände, gegen die man läuft, geben einem Halt. Wenn man sich auf Widerstand zubewegt, spürt man Energie. Und gute Projekte brauchen Energie.
Ein paar fixe Fragen zum Schluss – bitte spontan und ohne viel Nachdenken beantworten. Los geht’s!
Das wollte ich als Kind werden:
Weiß ich nicht mehr. Ich glaube, gar nichts.
Der beste Rat meiner Eltern lautete:
Meine Mama hat immer gesagt: „Merk‘ Dir eines, Peter: Die Anderen sind nicht so wie wir.“
Jemand, von dem ich enorm viel gelernt habe:
Peter Eisenman. Als Jugendlicher hatte ich mir immer vorgestellt, dass die reale und die irreale Welt irgendwann per Gedankengebilde zusammenwachsen. Eisenman hat mit seiner Architektur genau dieses Weltbild umgesetzt. Kennengelernt habe ich ihn allerdings nie.
Mein verkanntestes Talent:
Ich weiß ja nicht einmal, ob ich überhaupt ein Talent besitze.
Etwas, mit dem ich meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Architekt mal nicht mehr klappen:
Das würde schwierig.
Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
Ich möchte Häuser bauen, die wie unsere Smartphones funktionieren: smarter und vernetzter, auf der anderen Seite aber auch freundlicher und kommunikativer.
Mein guter Rat an jeden der oder die es als Architekt zu etwas bringen will:
Man sollte diesen Beruf nur ergreifen, wenn man bereit ist, Tag und Nacht für die Architektur da zu sein.
 
PETER HAIMERL
Der Architekt Peter Haimerl, 60, stammt aus Viechtach im Bayrischen Wald, hat in München studiert, in Wien gearbeitet und sein Büro in München gegründet. Für Projekte wie das Konzerthaus Blaibach und „Birg mich, Cilli“ wurde er mehrfach mit dem Kulturpreis Bayern und dem BDA-Preis Bayern ausgezeichnet. Haimerl ist Professor für Entwurf und Gestaltung an der Universität Linz.
 
Text:
Harald Willenbrock

Fotos:
Portrait: Peter Haimerl, Fotograf: Edward Beierle | Waidlerhaus „Birg mich, Cilli“ - außen, Fotograf: Edward Beierle | Waidlerhaus „Birg mich, Cilli“ - innen, Fotograf: Edward Beierle | Konzerthaus Blaibach - außen, Fotograf: Edward Beierle | Konzerthaus Blaibach - innen, Fotograf: Edward Beierle | Schusterbauernhaus München-Riem, Fotograf: Edward Beierle | Archiv der Zukunft, Rendering: Peter Haimerl.Architektur inhouse
 
 
Alles für Ihr Projekt. Alles außer gewöhnlich. Alles aus einer Hand. hager.de/arc
 
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