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Wie richten wir uns im Leben ein, Sebastian Herkner?
Man kann heute kaum durchs Leben gehen, ohne seinen Designs zu begegnen: Sebastian Herkner gilt als der aktuell einflussreichste deutsche Gestalter. Er entwirft Möbel und Badserien, Accessoires und Wohnungen wie für den Wolkenkratzer ONE FORTY WEST. Im out of the box-Interview spricht der 41-Jährige übers Wohnen im Wolkenkuckucksheim und die unterschätzten Helden des Handwerks.
 
Beste Begleiter: Herkner in seinem Musterapartment im ONE FORTY WEST, umgeben von seinen Entwürfen wie dem Bell Table, dem Arp-Sofa und der Oda-Leuchte
 
Für jemanden, der in aller Welt unterwegs ist: Welche Stadt kommt Ihrem Ideal einer urbanen Gemeinschaft am nächsten? 
Natürlich kommt mir da gleich der Klassiker New York in den Sinn, interessanter aber finde ich momentan Bangkok und Taipeh: zwei boomende, kulturell und architektonisch hochinteressante Metropolen, die man unbedingt im Auge behalten sollte. In Bangkok eröffnet übrigens demnächst ein Standard-Hotel, insofern gibt es dort auch eine Reminiszenz an New York.
Für den Hybridturm ONE FORTY WEST in Frankfurt/Main haben Sie das Musterapartment gestaltet. Welche Maximen leiteten Sie bei seiner Einrichtung? 
Der ONE FORTY WEST ist ein Solitär mit einem echten Alleinstellungsmerkmal: Während die Frankfurter Bankentürme dicht beieinander gruppiert sind und sich teilweise gegenseitig die Sicht nehmen, steht ONE FORTY WEST zwischen Westend und Bockenheim allein auf weiter Flur. Man ist dort wirklich über der Stadt, taucht mitunter im Nebel ein und hat ansonsten ungehinderten Blick bis in den Taunus. Gleichzeitig ist es ein Hybridturm und damit eine in Deutschland bislang noch recht seltene Gebäudekategorie. All das habe ich in der Gestaltung des Musterapartment einzufangen versucht. 
Wie würden Sie die Heimat des ONE FORTY WEST in wenigen Sätzen charakterisieren? 
Frankfurt ist eine internationale Stadt mit kurzen Wegen. Hier kann man – was in Berlin nicht ginge – fast alles mit dem Fahrrad erreichen. Außerdem gibt es viel Kultur, Multikulti und einen hohen Lebensstandard.
Ein ganzes Magazin über das Hochhausprojekt von MA Architekten: Die brandneue Blueprint


Als „Crack FM, die Stadt mit der Skyline“ bezeichnet der Rapper Azad in der Serie „Skylines“ die Stadt, und: „Hier ist Glück selten, wenn die Chance kommt, musst du bereit sein.“ Hat er recht? 
Das weiß ich nicht (lacht). Ich wohne ja in Offenbach. Hier haben wir nicht Azad, sondern Haftbefehl. 
Könnten Sie sich vorstellen, selbst in einem Wolkenkratzer hoch oben über einer Großstadt zu leben? 
Absolut. Jeden Morgen mit einem derartigen Blick aufzuwachen, muss großartig sein. Andererseits hat man in einer derartigen Immobilie maximal einen kleinen Balkon. Meinen großen grünen Dachgarten aber habe ich gerade während der Pandemie enorm zu schätzen gelernt.
Banken im Blick: Von Herkners Musterapartment im ONE FORTY WEST geht die Aussicht aufs Frankfurter Finanzviertel
 
Apropos Lockdown: Wie haben die vielen Wochen in den eigenen vier Wänden unsere Vorstellung vom Wohnen verändert? 
Vielen ist der Wert des Wohnens in dieser Zeit erst richtig bewusst geworden. Es sind neue Erkenntnisse und Prioritäten entstanden: Wie gut ist die Wohnung strukturiert? Kann man sich in ihr auch mal aus dem Weg gehen und zurückziehen? Welche Hintergründe habe ich, vor denen ich mit Geschäftspartnern und Kunden zoomen kann, ohne zu viel Privates preiszugeben?

Gleichzeitig entdeckte man gute Dinge neu: Kartenspielen mit Freunden, Kochen und Gärtnern. Ich kann das auch für mich selbst sagen: Statt drei Mal pro Woche im Flieger zu sitzen, habe ich mindestens drei Mal pro Woche selbst gekocht und fand es wunderbar. Der Zusammenbruch der Lieferketten hat dann viele Menschen die Herkunft ihrer Produkte hinterfragen lassen. Wo wird eigentlich all das gefertigt, was wir uns per Mausklick ins Haus liefern lassen? Unter welchen Bedingungen und zu welchen Kosten für Mensch und Umwelt? Ich hoffe sehr, dass wir uns den Respekt für Zeit, Umwelt und Qualität in die Post-Corona-Ära hinüberretten.  
Filigrane Handarbeit: Herkners Hochlehner MBRACE für DEDON
 
Sie sind seit jeher bekannt für Ihre hohe Wertschätzung des Handwerks. Woher rührt die? 
Als Gestalter sind wir auf gutes Handwerk und leidenschaftliche Handwerker angewiesen, weil sie es sind, die unsere Entwürfe ins Leben bringen. Das macht kein 3D-Drucker. Früher wurde ich für diese Wertschätzung belächelt, heute folgt man ihr. Meine großen Helden sind die Korbflechter auf den Philippinen, die mit unglaublicher Präzision in drei Tagen Handarbeit die Sitzschalen für meinen MBRACE flechten. Oder die Glasbläser im Bayrischen Wald, die ein uraltes Handwerk hochhalten und leider gerade von den explodierenden Energiepreisen an die Wand gedrückt werden.
Das Problem ist doch: Alle schätzen Handwerker, niemand möchte mehr einer werden. 
Mein Bruder ist Landschaftsgärtner, ich weiß also, wovon Sie sprechen. Dabei sind beispielsweise Schreiner und Keramiker so tolle Berufe, die wunderbare Dinge herstellen. Wir sprechen ja nicht von irgendwelchen Produkten, sondern von Gütern. Und der Begriff Güter kommt nicht umsonst von gut.
Bunter Bestseller: Herkners Bell Table wollte zunächst niemand haben. Im Portfolio von ClassiCon avancierte er zum Erfolg.
 
Ihren Namen assoziiert man häufig mit dem Bell Table, der seit 2012 von ClassiCon hergestellt wird. Fühlen Sie sich manchmal wie ein Popstar, der auch zig Alben später immer noch seinen ersten Hit singen soll?
Ich bin Gott sei Dank nicht Karel Gott, der immer wieder nach seinem Biene Maja-Song gefragt wurde. Auf den Bell Table sind ja viele weitere Erfolge, aber sicherlich auch Flops gefolgt. Das ist völlig normal.
Stimmt es, dass Sie den Prototypen des Bell Table in eine Decke gewickelt mit ihrem VW Polo nach Berlin transportiert haben? 
So ist es. Der Sammler Christian Boros hatte meinen Prototypen in einer Zeitschrift gesehen und per E-Mail Interesse signalisiert. Also habe ich einen ersten Prototypen in eine Überdecke gewickelt und ihm in Berlin präsentiert. Boros hat sich dann zwei Farbvarianten ausgewählt. Ansonsten wollte ihn drei Jahre lang niemand seriell produzieren, bis ihn schließlich Oliver Holy für ClassiCon entdeckte.
Mal angenommen, Sie würden morgen das Designen aufgeben: Welche drei Entwürfe von Ihnen sollten in Erinnerung bleiben? 
Sicher der Bell Table, außerdem die Möbelserie MBrace für DEDON, die aktuell mein wohl erfolgreichster Entwurf ist. Und schließlich der 118-Stuhl für Thonet. Für mich war es eine enorme Ehre, zum 200. Geburtstag dieser Traditionsmarke einen Stuhl entwerfen zu dürfen. Einen, der nach wie vor in Frankenberg gefertigt und dennoch zu einem akzeptablen Preis auf den Markt gebracht wird.
Sitzt perfekt: Stuhl 118 für die Traditionsmarke Thonet
 
Ein paar fixe Fragen zum Schluss – bitte spontan und ohne viel Nachdenken beantworten. Los geht’s!  
Das wollte ich als Kind werden:
Bildender Künstler. 
Der beste Rat meiner Eltern:
„Schaffe, schaffe, Häusle bauen.“ Ich habe schon als Jugendlicher immer gearbeitet und mir auf diese Weise den Respekt vor dem Geldverdienen und das Handwerk erarbeitet. Mein Vater war Elektrotechniker, meine Mutter Arzthelferin, ich bin ihnen enorm dankbar, dass ich studieren konnte. Und zwar das, was ich wollte: Design.
Jemand, von dem ich enorm viel gelernt habe:
Von so vielen Handwerkern, dass es unfair wäre, einen einzelnen zu nennen. 
Mein verkanntestes Talent:
Kochen. Im Sommer alles auf und vom Grill, im Winter durchaus Rouladen und andere Klassiker.  
Etwas, mit dem ich auch meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Gestalter nicht mehr klappen:
Als Networker. Ich liebe es, Leute zu vernetzen. Ein Freund von mir hat mal gesagt: „Es gibt die Achse des Bösen. Wir müssen eine Achse des Guten bilden.“ Dem folge ich. 
Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
So eine Wunschliste habe ich nicht. Ich bin total zufrieden und dankbar mit dem, was ich habe und mache. Ich kann mir die Marken inzwischen aussuchen, mit denen ich arbeiten möchte. Doch ist mir der Mensch dahinter viel wichtiger. Design funktioniert nur, wenn das Gegenüber stimmt, schließlich arbeitet man ja lange und sehr intensiv zusammen. Die tollste Marke nützt nichts, wenn die Personen dahinter und ihre Philosophie nicht passen. Was übrigens nicht selten der Fall ist. 
Ein inspirierender Instagram-Account: 
m.a.r.c.c.o.s.t.a 
Mein guter Rat an jemanden, der bzw. die es als Designer oder Designerin zu etwas bringen will:  
Entwickele Deine eigene Designsprache. Bau‘ Dir ein Netzwerk auf. Vor allem aber: Schau Dich in deiner Region nach guten Handwerkern und Unternehmen um, denn die wirst Du brauchen. Unter anderem deshalb lebe und arbeite ich ja immer noch in Offenbach und nicht in München oder New York. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, in die großen Städte zu gehen, wo eh alle sind. 
 
Sebastian Herkner 
hat Produktgestaltung an der HfG Offenbach studiert und während seines Studiums ein Praktikum bei Stella McCartney absolviert. Heute gilt Herkner als einer der stilprägenden deutschen Designer. Der 41-jährige arbeitet für Weltmarken wie ClassiCon, DEDON, Fritz Hansen, Linteloo, Moroso, Pulpo, Rosenthal und Thonet. Für Hager hat er den Designercup 2022 gestaltet.

www.sebastianherkner.com
 
Text:
Harald Willenbrock

Fotos:
Portrait Sebastian Herkner © Gaby Gerster | Portraits Sebastian Herkner Musterapartment und Balkon
© Ramon Haindl |  Foto MBRACE © DEDON, mit freundlicher Genehmigung von
DEDON | Foto Bell Table © Mark Seelen/ClassiCon, mit freundlicher Genehmigung von ClassiCon | Foto Stuhl 118 © Ingmar Kurth/Thonet, mit freundlicher Genehmigung von Thonet | Architekturfotos Blueprint © Faruk Pinjo
 
 
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