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Welche (Vor-)Bilder braucht unsere Architektur, Thomas Auer?
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Für eine gelingende Bauwende braucht es ganz neue architektonische Vorbilder, meint Prof. Thomas Auer – „weg von dummen Gebäuden aus Beton, Stahl und Glas“. Einige besonders wegweisende ortet der Geschäftsführer des internationalen Energieplaners Transsolar zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Auers Credo: „Für die Zukunft können wir von der Vergangenheit viel lernen!“
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Natürliches Klima: In der ANOHA-Kinderwelt des Jüdischen Museums in Berlin nutzte Transsolar das riesige Raumvolumen des ehemaligen Blumengroßmarkts als thermischen Puffer. Öffenbare Fenster lassen Luft herein, Deckenventilatoren verteilen sie im Raum. Auf eine energieintensive mechanische Lüftung konnte so verzichtet werden.
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Nach der neuesten Treibhausgas-Bilanz des Umweltbundesamtes hat der Gebäudesektor auch vergangenes Jahr wieder seine Klimaziele verfehlt. Überrascht Sie das?
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Für 2022 überrascht es mich schon, weil aufgrund des Ukrainekrieges ja Energie gespart wurde – offensichtlich aber nicht genug. Grundsätzlich aber erstaunt es mich nicht. Wir bauen und wohnen viel zu energieintensiv.
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Was muss sich tun, damit sich das ändert? Wie kriegen wir die Energiewende im Gebäudesektor gewuppt?
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Zuallererst müssen wir unser Denken in Sektoren überwinden. Der Energiebedarf des Gebäudesektors entsteht ja zum allergrößten Teil durch Heizung, Warmwasseraufbereitung und Klimatisierung unserer Häuser. Die graue Energie aber, die in den Baumaterialien steckt, wird dem Industriesektor zugeschrieben, der Strom für Kaffeemaschine und Licht wiederum dem Energiesektor. Wir rechnen also Faktoren nicht ein, die zusammengehören. Wir müssen ganzheitlicher denken und rechnen.
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Ein konkretes Beispiel: Wir diskutieren die überfällige Sanierung des Gebäudebestandes, blenden die ökologischen Kosten der eingesetzten Materialien aber komplett aus. Vor allem aber brauchen wir neue Bilder, wie die viel zitierte Bauwende aussehen kann.
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Was verstehen Sie unter neuen Bildern für die Architektur?
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Prägend für die Moderne war die transparente, leichte, gläserne Architektur des International Style, wie er beispielsweise durch Mies van der Rohe und Le Corbusier propagiert wurde. Im Zeitalter von Klimawandel und Energieknappheit aber können wir dieses Versprechen der Moderne gar nicht mehr einhalten. Zwar haben wir den Neunziger und Nuller Jahren noch mit Doppelfassaden und möglichst neutralen Sonnenschutzbeschichtungen versucht, gläserne Architektur zu retten, aber das funktioniert nur mit intelligenten und anspruchsvollen Lösungen. Gebaut werden heute aber leider zumeist dumme Gebäude aus Beton, Stahl und Glas.
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Einfach energiesparend: Beim neuen Firmensitz der Darmstädter Biomarktkette Alnatura baute Transsolar eine ganze Reihe intelligenter Maßnahmen ein. Tageslichtoptimierte Ausrichtung, Stamplehmfassade, Erdsonden und ein radiatives System sorgen für hohen Komfort bei niedrigem Energieverbrauch. Europas größtes Bürohaus mit Stampflehmfassade trägt das DGNB-Zertifikat Platin.
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Derzeit stehen der Baustoff Holz und begrünte Fassaden für ein neues Bild zukunftsweisender Architektur.
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Holz ist der potenziell nachhaltigste Baustoff, aber es hat Nachteile beim Schallschutz, Brandschutz und dem sommerlichen Wärmeschutz. Wir haben in einer Studie städtische Holzständerbauten mal unter sommerlichen Extremwetterlagen des Jahres 2050 simuliert. Ergebnis: Diese Gebäude werden ohne Klimaanlagen sehr unkomfortabel, denn es fehlt ihnen die notwendige Speichermasse. Auch bei einer massiven Holzbauweise sehen wir erhöhte sommerliche Temperaturen, da die Wärmeleitfähigkeit von Holz klein ist und die Wärme des Raums nicht schnell genug aufnimmt. Deswegen sind Holzbauten im Sommer wärmer als klassische Massivbauten.
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Ich sehe ein großes Potenzial in der Kombination aus Holz-Ständerbauweise und Lehm. Holz trägt, Lehm speichert Temperatur und Feuchtigkeit.
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Also das, was man von traditionellen Fachwerkhäusern her kennt.
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Richtig. Die Frage ist, wie wir diese Kombination heute industriell herstellen können, damit sie bezahlbar wird. Momentan schreiben wir gerade die Anträge für ein Forschungsprojekt, in dem wir diese Fragen gemeinsam mit einem Holzbauunternehmen und einem Ziegelhersteller untersuchen werden.
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Sie haben die Professur für klimagerechtes Bauen an der TU München inne. Was heißt klimagerecht denn genau? CO2-neutral? Klimapositiv? Oder verstehen Sie darunter Aktivhäuser wie Werner Sobeks B10 in Stuttgart?
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Zugegeben, „klimaangepasst“ wäre wahrscheinlich ein passenderer Begriff gewesen als „klimagerecht“, da habe ich nicht genügend nachgedacht, als ich den Lehrstuhl umbenannte. Es geht um eine Architektur, die auf das Klima reagiert und mit Gebäude dabei dank minimalen technischen Interventionen unterstützt. Motto: einfach bauen. Ein High Tech-Gebäude wie Werner Sobeks Aktivhaus ist nach dieser Definition so ziemlich das Gegenteil von klimagerecht.
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Wenn nicht durch High Tech, wodurch werden Bauten dann klimagerecht?
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Für eine Studie haben wir vor einiger Zeit zwölf Münchener Schulen vermessen und verglichen. Und die Schularchitektur, die ohne mechanische Lüftung in puncto sommerlichem Komfort, Tageslicht, Akustik und Luftqualität am besten abschnitt, war eine von Theodor Fischer aus dem Jahr 1898. Fischer hatte damals eine hohe Aufenthaltsqualität mit wenig Energie und Technik geschaffen. Für die Zukunft können wir also von der Vergangenheit viel lernen, wir müssen sie nur in ein modernes Bild von Architektur übersetzen.
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Extreme Anforderungen: Mit -35° Celsius im Winter und ebensolchen Positivtemperaturen im Sommer stellt Winnipeg Planer vor extremen Aufgaben. Transsolar löste sie beim „Manitoba Hydro Place“ unter anderem mit optimierter Gebäudeausrichtung, passiver Vorkonditionierung in Wintergärten und Doppelfassaden sowie einer hocheffizienten Wärmerückgewinnung. Der Bürokomplex gilt heute mit ca. 60% weniger Primärenergieverbrauch als der effizienteste Büroturm Nordamerikas.
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Wie hat Fischer das vor über 120 Jahren hingekriegt?
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Ein wichtiger Faktor: Raumhöhen. Mehr Raumhöhe bedeutet höheres Raumvolumen, das man wie eine Frischluftbatterie nutzen kann. In Kirchen beispielsweise bleiben ja Klima und Luftqualität ob des großen Volumens konstant gut, obwohl dort ja eine Menge Nutzer zusammenkommen. Gleichzeitig bedeuten größere Raumhöhen höhere Wände und daher mehr Masse, die Temperaturen speichern kann. Die typischerweise hohen Fenster in hohen Räumen bringen außerdem Tageslicht in die Tiefe der Räume und sorgen so mit weniger Fensterfläche für eine ausgezeichnete Belichtung.
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Demnach müssten beispielsweise Jugendstilbauten unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten als vorbildlich gelten.
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Richtig. Die Bauplanerinnen und -planer jener Tage waren sehr klug. Die typischerweise verwendeten raumhohen Vorhänge sorgten außerdem für eine ausgezeichnete Raumakustik. Und anders als viele moderne Bauten sind Jugendstilvillen sehr flexibel: In ihnen kann eine Arztpraxis, eine WG und genausogut ein Architekturbüro einziehen. Es ist genau so, wie es der Architekt Alejandro Aravena sinngemäß formuliert hat: „Nachhaltigkeit ist nichts anderes als der rigorose Gebrauch des gesunden Menschenverstands.“
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Wenn das stimmt, stellt sich natürlich die Frage, warum ihre Umsetzung offensichtlich so kompliziert ist.
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Die Frage treibt uns tatsächlich auch in der Forschung um. Ich glaube, alle Baubeteiligten sind genervt von der Komplexität der Vorschriften und Anforderungen. Alle sind sich einig: Es ist an der Zeit, mal wieder einen Schritt zurück zu machen.
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Warum tun wir’s dann nicht?
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Ein Punkt liegt sicher im Ego von uns Bauplanerinnen und Bauplanern. Wir älteren Planer sind in den Neunziger Jahren mit der Frage sozialisiert worden, wie wir Frank Gehrys Bilbao-Effekt nachahmen und architektonische Feuerwerke in die Städte setzen können. Wir wollten und wollen aus jedem Gebäude eine Perle machen, dabei kommt es doch vor allem darauf an, sich dem größeren Stadtbild und Zielen wie Wohnkomfort, Klimagerechtigkeit und Bezahlbarkeit unterzuordnen. Zu einem gewissen Grad stehen wir uns selber im Weg.
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Die Zukunft des Bauens steckt also ein gutes Stück in der Vergangenheit?
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Für mich ist Architektur das Versprechen einer besseren Zukunft; gleichzeitig können wir von der Architektur des frühen 20. Jahrhunderts sehr viel mehr lernen, als wir glauben. Baumeister jener Zeit haben mit ganzheitlichem Blick und gesundem Menschenverstand erreicht, was wir heute mit enormem technischem Aufwand anstreben. Wir glauben oft der Physik ein Schnippchen schlagen zu können, aber das funktioniert nicht.
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Intelligente Reduktion: In den Forschungshäusern Bad Aibling (Architektur: Florian Nagler) wurde das Prinzip „Einfach Bauen“ erprobt. Mit klimatisch trägen Bauteilen, angemessenen Fensterflächen und einschichtigen Wand- und Deckenkonstruktionen bringen sie Schlichtheit und Dauerhaftigkeit zusammen.
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Ein paar fixe persönliche Fragen zum Schluss, die wir allen Interviewpartnern
und -partnerinnen stellen. Los geht’s!
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Das wollte ich als Kind werden:
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Der beste Rat meiner Eltern:
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„Mach‘ dein Abi!“ Dem Rat bin ich gefolgt, wenn auch auf Umwegen.
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Jemand, von dem ich enorm viel gelernt habe:
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Frei Otto, Buckminster Fuller, Stefan Behnisch und Jörg Schlaich, um nur vier von vielen zu nennen.
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Mein verkanntestes Talent:
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Gitarre spielen. Nicht gut, aber gern.
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Etwas, mit dem ich meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Architekt mal nicht mehr klappen:
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Mit einer Weinbar in einer schönen Umgebung.
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Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
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Ich möchte in meinen verbleibenden zehn Berufsjahren einen Beitrag zum Verständnis der nachhaltigen Transformation leisten. Wohlgemerkt: einen Beitrag.
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Der für Sie als Architekten aktuell inspirierendste Instagram-Account?
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Normalerweise jener meines Fußballvereins VfB Stuttgart; nur gibt’s derzeit wenig Grund zur Freude.
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Mein guter Rat an jemanden, der es als Architekt zu etwas bringen will:
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Weniger Ehrgeiz darein stecken, es zu etwas bringen zu wollen. Stattdessen mehr der inneren Überzeugung folgen.
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THOMAS AUER
studierte Verfahrenstechnik an der Universität Stuttgart und kam 1994 zu Transsolar und damit einem der maßgeblichen deutschen Büros für die Energieplanung, dessen Geschäftsführer er heute ist. Auer lehrte einige Jahre unter anderem an der Yale Universität, bevor er 2014 die Professur für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der TU München übernahm. Zusammen mit Florian Nagler ist Auer Teil eines Forschungsverbundes „Einfach Bauen“, aus dem in Bad Aibling drei Forschungshäuser aus Massivholz, Mauerwerk und Leuchtbeton entstanden sind und analysiert werden. Aktuell arbeitet der 58-Jährige in diversen Forschungsnetzwerken zu Themen wie bauen mit Lehm und Holz und deren Vorfertigung.
www.transsolar.com
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Fotos:
Portrait Prof. Thomas Auer © Tassilo Letzel, www.cosmosfilm.de; Anoha-Kinderwelt-Jüdisches Museum, Berlin © Hufton & Crow Photography, www.huftonandcrow.com; Illustrationen: Anoha Kinderwelt, Berlin; Alnatura, Darmstadt; Manitoba Hydro Place, Winnipeg © oup.studio, Stuttgart, www.ockert-partner.com; Alnatura, Darmstadt © Roland Halbe, www.rolandhalbe.eu Manitoba Hydro Place, Winnipeg © Gerry Kopelow Photographics, www.gerrykopelow.com; Forschungshäuser Bad Aibling © Sebastian Schels, www.schels.net
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Spannende Einblicke:
Inspirierende Projekte und Lösungen in Anwendung.
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Ideen tanken
Lassen Sie sich inspirieren! Mit unseren „out of the box"-Stories für Architekten bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
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Stefanie Wahl,
Hager Architektenkommunikation
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