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Wie schreibt man als Architekt Geschichte, Thomas Mau?
Umnutzung und Revitalisierung von Altbauten sind die großen Themen unserer Zeit. Wie schafft man Neues, ohne das Alte zu beschädigen? Wie lassen sich Veteranen der Baugeschichte für die Gegenwart fit machen?

Eine Architektengemeinschaft, die sich in diesen Fragen immer wieder hervorgetan hat, ist das Hamburger Büro BiwerMau. Gründungspartner Thomas Mau im Gespräch über den Charme des Historischen, die Kunst, sich als Planer unsichtbar zu machen, und weshalb Denkmalschützer eigentlich Schutzengel sind.
Thomas Mau, Ihr Büro ist mit der Sanierung historischer Gebäude wie dem Hamburger Hauptzollamt oder dem ehemaligen Pumpwerk Waterworks bekanntgeworden – reiner Zufall oder ein Zeichen der Liebe zu historischer Architektur?
Ein bisschen von beidem. Gleich unser allererstes Projekt war der Umbau eines alten Mädchengymnasiums in Oberhausen, das zwar nie fertiggestellt wurde, weil der Investor in Zahlungsschwierigkeiten geriet, uns aber mit der E.ON zusammenbrachte, für die wir dann ein historisches Schulungsgebäude in Düsseldorf zur E.ON Academy umbauen durften. Darauf folgte ein erster historischer Speicher in unserer Wahlheimat Hamburg. Diese ersten rein zufälligen Referenzen führten zu weiteren Projekten in der Altbausanierung. Wir sind da also irgendwie reingestolpert. Aber wir haben uns auch schlichtweg in die alten Häuser verliebt.
Was ist für einen Bauplaner dankbarer: ein Neubau auf grüner Wiese oder die Ertüchtigung eines Altbaus?
Die Energie, sich ernsthaft in ein denkmalgeschütztes Gebäude hineinzudenken, bezahlt einem keiner. Andererseits spornt es kreativ an, sich an Vorgegebenem abarbeiten zu können. Und je mehr man sich in die Details historischer Bauten versenkt, umso deutlicher wird die Güte in Entwurf und Umsetzung, die in vielen Altbauten steckt. Wir haben daraus viel für unsere Neubauten gelernt.
Was konnten Architekten früherer Tage besser als wir heute?
Unsere Vorgänger haben vor hundert oder hundertfünfzig Jahren Gebäude geschaffen, die ohne große technische Ausstattung eine enorme architektonische und klimatische Qualität schufen. Hier in der Hamburger Speicherstadt beispielsweise, wo wir mit unserem Büro sitzen, wurde mit dicken Backsteinwänden, kleinen Fassaden-Fensteröffnungen und rein nachhaltigen Materialien ein in puncto Klima und Nutzerqualitäten herausragendes Gebäudeensemble geschaffen, das sich zudem über die Jahrzehnte als enorm wandlungsfähig erwiesen hat. Darin steckt eine ganz andere Qualität als in Bürobauten aus den siebziger Jahren, wie wir gerade einen am Hamburger Gänsemarkt am Wickel haben. Da bleiben häufig leider nur Abriss und Neubau.
Wie schreibt man als Architekt eine Geschichte fort, die Kollegen vor mehr als hundert Jahren begonnen haben?
Indem man sich zurück und nicht so wichtig nimmt. Indem man versucht, ein harmonisches Miteinander von Alt und Neu zu erreichen. Ob das geglückt ist, lässt sich sehr einfach überprüfen.
Wie denn?
Geglückt ist es, wenn Betrachter sich nachher fragen, ob die Erweiterungs- oder Erneuerungselemente nicht eigentlich schon immer da waren. Hier in der Speicherstadt haben wir 2017 das Hauptzollamt und damit ein prominentes Bauwerk dieses Weltkulturerbes saniert und ihm ein Dachgeschoss aufgesetzt. Ich würde mal behaupten: Der unbedarfte Beobachter merkt dem Gebäude unsere subtile Ergänzung nicht einmal an. Ist das nun neu oder ist das Original? Wenn man sich das fragt, haben wir einiges richtig gemacht.
Gibt es einen Kollegen, der Sie in dieser Hinsicht inspiriert?
Hier in der Speicherstadt haben wir viel vom Architekten Werner Kallmorgen gelernt, der in den Nachkriegsjahren die zerstörten Bauten des Viertels wieder aufbaute. Und zwar so, dass seine Eingriffe heute selbst für Architekten erst auf den zweiten Blick dechiffrierbar sind.
Sollte man als Architekt also auf die eigene Unsichtbarkeit hinarbeiten?
Bei vielen Bauaufgaben wäre das ein gutes Ziel! Natürlich kann man durchaus mal architektonische Statements setzen, wie wir es beispielsweise mit dem „Lighthouse Zero“ im Hamburger Baakenhafen getan haben, einem aufgeständerten 300 Quadratmeter-Loft mit Elbblick. Doch man sollte sich immer fragen, wie präsent ein Gebäude im Stadtbild sein wird, was es zur positiven Weiterentwicklung beiträgt und wieviel Raum es für spätere Eingriffe seiner Nutzer lässt. Manchen Kollegen graust es ja, wenn die Bewohner einziehen und seine Fassade mit ihren Sichtschutzelementen und Markisen „verschandeln“. Und natürlich gibt es Nutzer, die ihre Wohnungen wie Pinterestcollagen absurd zumöbeln. Ich finde aber, Architektur muss so etwas aushalten können. Wir bauen ja keine Designmuseen, sondern Räume, die Menschen sich aneignen und nutzen sollen.
Was an Ihren Neu- und Altbauten auffällt, ist ihre Sparsamkeit beim Material.
Wir glauben in der Tat an mehr Ausdruckskraft durch weniger Materialien. Bei Altbauten beschränken wir uns daher meist auf Stahl, Ziegel, Holz, Naturstein und Kupfer. Diese setzen wir so pur und unverfälscht wie möglich ein. Warum beispielsweise lasiert man Eichendielen, wenn ein helleres Holz gewünscht wird? Da wähle ich doch gleich lieber Esche oder Lärche! Lasuren und ähnliche Verfremdungen bringen eine Künstlichkeit ins Objekt, die wir nach Möglichkeit vermeiden. Unser Ziel ist eine entspannte, ehrliche Architektur.
Alle reden heute von Nachhaltigkeit. Wie schafft man Architektur, welche die kommenden hundert Jahre überdauert?
Unter Anderem, indem man Gebäude und Räume maximal flexibel gestaltet. Momentan wissen ja selbst die Bauherren nicht, wie sich Wohnen und Arbeiten, Büro und Handel in den nächsten Jahren weiterentwickeln werden. Also müssen wir Gebäude so bauen, dass sie viele Entwicklungsmöglichkeiten zulassen.
Da stoßen Architekten doch an ganz pragmatische Hürden – zum Beispiel die ganz unterschiedlichen Geschosshöhen für Gewerbe- und Büroflächen.
Ich glaube, da muss man die gängigen Investorenlogik hinterfragen. Wieso sind denn die Gründerzeitbauten mit ihren hohen Decken noch heute so begehrt? Ist es nicht auch aus Investorenperspektive eher kurzsichtig, aus einem Gebäude mittels möglichst niedriger Geschosshöhen auch noch den allerletzten Quadratmeter herausquetschen zu wollen? Bei unserem Projekt Waterworks, einem ehemaligen Pumpwerk in Hamburg-Blankenese, haben wir in einigen Wohnungen bewusst die enormen Deckenhöhen von 7 Metern erhalten. Gleichzeitig haben wir sie aber mit Räumen von nur 2.50 Metern Deckenhöhe gekoppelt – das ist nicht einmal Sozialwohnungsniveau. Die Kombination von beidem aber sorgt für eine architektonische Spannung, die sich am Ende auch für den Investoren ausgezahlt hat.
Für das Projekt Waterworks hat Ihnen der BDA seinen Preis Hamburg zuerkannt. In der Begründung der Jury heißt es: „Das Projekt Waterworks ist eine dankbare Aufgabe, die man trotzdem vermasseln kann, wenn man zu sehr auf den Zeitgeschmack reicher Kunden statt auf die Geschichte hört.“ Wie nah dran waren sie, es zu vermasseln?
Ach, weit davon entfernt, denn unser Bauherr war ganz auf Seiten der Architektur. Wir verfolgen bei Sanierungsmaßnahmen ja immer das Ziel, Gebäude technisch und konstruktiv zu ertüchtigen, gleichzeitig aber möglichst viele Gebrauchsspuren und Patina zu erhalten. Da waren wir uns bei Waterworks mit dem Investor einig. Natürlich kann man sich dennoch fragen, ob man stets auf das Gebäude hören und konsequent seiner Idee folgen sollte.
Und? Sollte man?
Durchaus, schließlich hat man sich das Gebäude bewusst ausgesucht. Bevor man zum Beispiel Wände raushaut, um großzügige und damit vermeintlich luxuriöse Raummaße zu schaffen, sollte man erst einmal seine Definition von Luxus hinterfragen.
Wie lautet Ihre?
Luxus heißt für mich: Naturbelassene Materialien. Tolles Handwerk. Eine gemauerte Wand, die der Maurer vielleicht nicht ganz gerade, aber einzigartig hinbekommen hat. Nicht die schiere Größe eines Raumes, sondern seine Komplexität und Lichtführung. Durchbrüche, durch die man immer wieder Neues entdeckt. Wenn Luxus als Gefühl geboren wäre, würde ich es auf den Namen Entspanntheit taufen.
Was bedeutet es denn, auf ein Gebäude zu hören?
Man muss sich zunächst einmal in seine Geschichte und Idee vertiefen. Für unser aktuelles Geschäftshausprojekt am Gänsemarkt beispielsweise sind wir tief in die Kontorhausgeschichte eingestiegen und haben die Qualitäten dieses Gebäudetypus' besser verstehen gelernt. Beim Projekt Waterworks sind wir auf Thomas Hawksley gestoßen, einen Architekten mit Büro in Westminster, der 1859 das Pumpwerk für die Altonaer Wasserwerke an den Elbhang gebaut hatte. Hawksley war der führende Wasseringenieur des 19. Jahrhunderts, ein gefragter Spezialist, der auf den britischen Inseln und in Übersee mehr als 150 Wasserwerke verantwortete und für das Projekt Pumpwerk nach Hamburg geholt wurde. Dass wir jetzt seine Arbeit fortsetzen durften: eine Ehre.
Ist bei einem historischem Altbau wie den Waterworks der Denkmalschutz für Sie eher Hindernis oder Leitplanke?
Denkmalschützer sind Schutzengel, die über Gebäuden schweben. Sie helfen uns, die Spuren zu bewahren, welche die Zeit an Architektur hinterlassen hat. Es ist doch für jeden Bewohner toll, in seinem Wohn- oder Arbeitsumfeld immer wieder neue Spuren zu finden und für sich zu deuten. An einer weißlackierten, minimalistischen Architekturikone hingegen gibt es nichts zu entdecken.
Aus Investoren- und Bauherrensicht aber steht der Denkmalschutz häufig für Beschränkung und Bürokratie.
Es gibt Bauherren, die historische Gebäude kaufen, weil sie sie lieben. Und es gibt andere, die zugreifen, weil sie sie billig bekommen und danach möglichst alles wegoptimieren wollen. Als Architekten haben wir es mit beiden Typen zu tun. Und natürlich stehen wir immer auf Seiten der alten Häuser und für subtile Eingriffe. Mithilfe des Denkmalschutzes können wir häufig verhindern, dass die neuen Besitzer historische Architektur komplett auf den Kopf stellen. Er hilft uns also – aber auch die Bauherren müssen ihn verstehen lernen. Das ist bislang immer geglückt, jedenfalls hoffe ich es.
Ihre Wahlheimat Hamburg wird mitunter als „Freie und Abrissstadt Hamburg“ persifliert, weil man hier besonders fix mit der Abrissbirne zur Hand ist. Warum ist das so?
Gute Frage. Liegt es am enormen Investorendruck in der Hansestadt? Oder ist die Qualität mancher Gebäude eben doch nicht so hoch, wie es von außen scheint? Ich wäre jedenfalls für mehr Zurückhaltung beim Abriss. Ensembles wie die vieldiskutierten City-Hochhäuser am Hauptbahnhof sind vielleicht nicht schön, aber doch Teil der kollektiven Erinnerung einer Stadt. Gewesen, muss man sagen, denn jetzt sind sie für immer verloren.
Mit ihrem Kompagnon Michael Biwer teilen Sie bereits seit 20 Jahre Büro und Projekte. Was ist das Geheimnis einer guten Büropartnerschaft?
Dasselbe wie bei einer guten Ehe: Vertrauen. Michael und ich arbeiten sehr unterschiedlich, aber mit ähnlichen Zielen. Michael zum Beispiel denkt sehr strukturiert und analytisch; er hat früh eine klare Vorstellung, wie sein Entwurf am Ende aussehen soll. Ich hingegen gehe eher intuitiv vor und lege mich ungern frühzeitig auf eine Entwurfsidee fest. Am Ende aber gelangen wir zu ähnlichen Ergebnissen. Wir mögen auch die gleichen historischen Vorbilder, wie zum Beispiel die Hamburger Kontorhäuser der Jahrhundertwende, aber auch der dreißiger Jahre, Hans Poelzig mit seinen expressionistischen oder Werner Kallmorgen mit seinen vermeidlich spröden Bauten. Und nach 20 Jahren Partnerschaft kennen Michael und ich uns natürlich in und auswendig. Auch das ist wie in einer guten Ehe: Wir wissen, was wir aneinander haben.
Ein paar fixe Fragen zum Schluss – bitte spontan und ohne viel Nachdenken beantworten. Los geht’s!
Das wollte ich als Kind werden:
Zimmermann. Baustellen haben mich schon immer fasziniert.
Der beste Rat meiner Eltern lautete:
Mach, was Du willst!
Jemand, von dem ich enorm viel gelernt habe:
Die Architekten Marianne Burkhalter und Christian Sumi, bei denen ich während meiner Studentenzeit in Zürich arbeitete, haben mich den Mut zur Eigenwilligkeit gelehrt. Dass Entwürfe sich nicht auf den ersten Blick erschließen müssen und man jenseits des Mainstreams erfolgreich sein kann, habe ich von ihnen gelernt. Will Alsop, in dessen Büro Alsop Störmer ich meine ersten Berufsjahre verbrachte, war noch einmal eigener und avantgardistischer als die beiden. Zur gleichen Zeit aber trat er immer bescheiden und zurückhaltend auf. Diese Kombination gefällt mir sehr.
Mein verkanntestes Talent:
Geduld.
Etwas, mit dem ich meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Architekt mal nicht mehr klappen:
Gärtner wäre schön.
Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
Ein denkmalgeschütztes, aber 100 % nachhaltiges Bestandsgebäude.
Mein guter Rat an jeden der oder die es als Architekt zu etwas bringen will:
Arbeite in Rhythmen. Der Brainstorming-Prozess sollte erst einmal schnell und unreflektiert sein und in kurzer Zeit viele Ideen generieren. Danach muss man sich die Zeit nehmen, sie selbstkritisch zu hinterfragen.
 
Thomas Mau
Der Architekt Thomas Mau, 54, stammt aus Köln, studierte in Braunschweig und Zürich Architektur und arbeitete zunächst im Hamburger Büro von Alsop & Störmer Architects. Zusammen mit seinem Partner Michael Biwer gründete er 2001 das Büro BiwerMau Architekten, das bis 2011 – zusammen mit der Architektin Sybille Kramer – unter kramer biwer mau architekten firmierte. Das 15 Mitarbeiter-Büro hat sich mit Planung von Schul-, Wohn- und Geschäftsgebäuden wie auch der Sanierung denkmalgeschützter Bauten einen Namen gemacht. Für den Umbau eines 170 Jahre alten Pumpwerks zum Wohnprojekt „Waterworks“ wurden BiwerMau kürzlich mit dem BDA Preis Hamburg sowie dem BDA Publikumspreis ausgezeichnet. Thomas Mau ist passionierter Segler und lebt in einem alten Fischerhäuschen direkt am Elbufer. Saniert haben es BiwerMau.
 
 
Aufzeichnung des Live-Events am 10. Juni 2021 aus den Waterworks Hamburg mit Thomas Mau.
Die Neuerfindung eines Denkmals Architekt Thomas Mau über die Sanierung des ehemaligen Pumpwerks am Hamburger Elbufer
Text:
Harald Willenbrock

Fotos:
Portrait: Thomas Mau, BiwerMau Architekten | Making-of-Foto Interview, Fotograf: Harald Willenbrock | Aktuelles BiwerMau-Projekt: Die Maschinenzentralstation der Speicherstadt Hamburg, Rendering: bloomimages | Lighthouse Zero, Hamburg, BiwerMau Architekten | Waterworks, Location Werkstatt-Loft_West, Fotograf: Jochen Stüber | Waterworks, Location Meisterhaus, BiwerMau Architekten

Video:
Mark Seelen

 
 
Alles für Ihr Projekt. Alles außer gewöhnlich. Alles aus einer Hand. hager.de/arc
 
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