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Wie rettet man eine Ruine, Walter Waldrauch?
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Vierzig Jahre hatte Münchens ältester erhaltener Bauernhof leer gestanden, bevor Peter Haimerl und raumstation Architekten dem Derzbachhof ein neues Leben einhauchten. Walter Waldrauch, der verantwortliche Generalplaner, spricht im "out of the box"-Interview über den entspannten Umgang mit historischer Architektur, dem Lernen von unseren Vorfahren und der Schwierigkeit, am Metropolenrand adäquat zu bauen.
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Vier Jahrzehnte lang stand Münchens ältester erhaltener Bauernhof leer. Dann machten sich Peter Haimerl und raumstation Architekten zusammen mit Projektentwickler Euroboden an seine Wiederbelebung.
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Ein mehr als 270 Jahre alter Bauernhof mit Türen und Fenstern aus der Zeit Mozarts, Löchern im Dach und einer hochkritischen Anwohnerschaft: Wie groß ist der Respekt, wenn man als Architekt eine solche Sanierungsaufgabe angeht?
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Der Derzbachhof hat uns Fragen gestellt, die uns kein Gebäude je zuvor gestellt hatte. Das hat mich zunächst einmal gereizt. Als ich dann aber feststellte, wie marode das Haus war, kam ich schon ins Grübeln. Es war dann relativ schnell klar, dass der alte Wohntrakt erhalten und für die Gemeinschaft geöffnet werden sollte. In der ehemaligen Tenne wiederum sollten Wohnungen untergebracht und das Ganze durch einen Neubau ergänzt werden. Und für alles mussten wir ein Konzept finden, bei dem die Denkmalpflege mitgeht.
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Würden Sie sagen: Es hat funktioniert?
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Die Wunden des Derzbachhofs wurden geheilt, seine Haut und sein Herz erhalten und erlebbar gemacht. Wir haben alle denkmalrelevanten Teile des alten Hofes gerettet und durch einen Neubau ergänzt – und das alles im Einklang mit den Denkmalpflegern.
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Wie sorgsam Planer und Entwickler mit der Bestandsarchitektur umgingen, lässt sich auch am ehemaligen Heustadl auf der Rückseite des Bauernhauses ablesen.
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Dennoch empfinden viele Bauherren und Architekten die Denkmalpflege als störenden Bremsklotz, der das Bauen teurer und mühsamer macht.
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Als Architekten besteht unser Job vor allem darin, mit hoher Geschwindigkeit Ideen zu produzieren und in die Realität umzusetzen. Bei der Rettung eines denkmalgeschützten Gebäudes aber sind ganz andere Qualitäten gefragt. Hier müssen sich Ideen aus einem tiefen Verständnis für das Bestandsgebäude heraus entwickeln. Denkmalschützer sind daher zumeist Bauhistoriker und haben eine andere, aber nicht minder wichtige Perspektive als wir. Die versuche ich gerade zu lernen.
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Aus bauhistorischer Perspektive hat der Bauernhof seine Funktion aber verloren.
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Auch denkmalgeschützte Gebäude sind ja lebendige Gebäude, die sich im Laufe der Zeiten immer wieder verändert haben und sich daher auch künftig weiter verändern dürfen. Der Derzbachhof hat seine landwirtschaftliche Bedeutung eingebüßt – schon lange – aber auf Initiative des Projektentwicklers Euroboden eine gemeinschaftliche Aufgabe gewonnen. Das gefällt auch der Denkmalpflege: Sie wünscht sich lebendige Denkmäler, weil Gebäude nur dann erhalten werden, wenn das Leben in ihnen spielt.
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Heute haben unter dem Tennendach vier Wohnungen von 40 bis 80 Quadratmetern Platz.
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Was haben Sie bei der Restaurierung über die Art und Weise gelernt, wie vor zweieinhalb Jahrhunderten gelebt und gebaut wurde?
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Dass die Menschen, die den Derzbachhof über Generationen hinweg bewohnt haben, enorm leidensfähig gewesen sein müssen. Es wurde einfach wahnsinnig wenig am Haus verändert. Es gab und gibt beispielsweise immer noch Originaltüren von 1751 mit den Beschlägen jener Zeit, die Raumhöhe liegt nach wie vor bei kopfnussgefährlichen 1,95 m. Ich weiß gar nicht, wie sich jemand in den 1980er Jahren ein derartiges Wohnen und Leben antun konnte. Andererseits könnten wir Hausbesitzer von heute von diesen Menschen viel lernen.
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Uns ist das Bewusstsein abhandengekommen, dass wir uns um unsere Häuser kümmern müssen. Früher ist man einmal im Jahr durchs Haus gegangen und hat geschaut, welche Böden ausgebessert und welche Fenster gestrichen werden müssen. Nur deshalb haben im Derzbachhof Fenster überlebt, die ein Schreiner zu Zeiten des Barock gezimmert hat.
Heute hingegen erwarten wir von Materialien und Produkten, dass sie uns komplett von der Bürde der Fürsorge befreien. Wir setzen unseren Häusern Kunststofffenster ein, die zwar nie gestrichen werden müssen, aber auch nicht ausgebessert werden können. Auf diese Art produzieren wir Unmengen an Müll.
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Ausgeführt wurden die Neubauwohnungen mit Estrich, Holz und Beton – jenen Materialien, die auch den alten Teil des Derzbachhofes prägen.
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Das Projekt Derzbachhof wurde in Forstenried nicht nur begeistert aufgenommen. Es gab Petitionen, Proteste, Mahnwachen. Wie hält man es als Architekt aus, wenn man merkt: Da wird meine Arbeit von manchen massiv abgelehnt?
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Es gibt immer Menschen, die sich mit Veränderungen schwerer tun als andere. In den Gesprächen mit Gegnerinnen und Gegnern habe ich irgendwann gemerkt, dass es kein Verständnis für das Projekt geben wird. Die Enttäuschung, dass der Derzbachhof nicht zu einem Museum werden würde, war einfach zu groß. Auch die Denkmalpflege hat unmissverständlich erklärt, dass es für ein Museum kein Geld gibt und sie froh ist, jemanden zu haben, der den Derzbachhof nutzen will. In diesem Wissen hat mich die harte Kritik gar nicht so sehr getroffen.
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Mit raumstation Architekten sind Sie in Starnberg genau an der Schnittstelle zwischen einer Metropole und der Provinz aktiv. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
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Es ist eine ständige Herausforderung. Wenn man in München baut, ist der Kontext meist eindeutig städtisch. In Starnberg hingegen ist man fast auf dem Land, auch wenn die Stadt in den Fünfziger und Siebziger Jahren versucht hat, städtisch zu werden. Es gibt also zwei starke Pole, zwischen denen die Stadt sich nie entscheiden konnte. Der heutige Bestand ist heterogen und weder klar als städtisch oder ländlich zu erkennen. Wenn man nun als Architekt in dieser Gemengelage bauen und nachverdichten will, muss man sich mit einer labilen Situation auseinandersetzen und das macht die Sache ziemlich kompliziert.
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Die historische Bauernstube im Erdgeschoss dient als Gemeinschaftsraum.
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Ein paar fixe Fragen zum Schluss – bitte spontan und ohne viel Nachdenken beantworten. Los geht’s!
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Das wollte ich als Kind werden:
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Ich habe schon im Sandkasten viel mit Playmobil gebaut, mir war also immer klar, dass ich etwas mit Bauen machen wollte. Ich habe dann während der Schulzeit bereits Verputzen und Mauern gelernt, was ich heute als sehr wertvoll empfinde. Es ist gut, als Architekt zu wissen, was technisch möglich und was zu viel ist.
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Der beste Rat meiner Eltern:
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Sagen wir’s so: Meine Eltern können es gut ertragen, wie jemand ist. Das ist mir stets ein Vorbild.
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Jemand, von dem ich enorm viel gelernt habe:
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Von meinem Büropartner Tim Sittmann-Haury. Wir sind unterschiedliche Typen und nicht immer einer Meinung. Er liest beispielsweise die FAZ, ich die SZ. Wir wissen aber, dass wir als Büro eine gemeinsame Haltung brauchen. Deshalb diskutieren wir häufig sehr lange, bis wir sie gefunden haben.
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Mein verkanntestes Talent:
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Ich bin ein extrovertierter Typ, deshalb gibt es wenig Unbekanntes über mich. Man sagt mir aber nach, dass ich empathisch sei und über Mediatorenqualitäten verfüge.
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Etwas, mit dem ich auch meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Architekt nicht mehr klappen:
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Ich würde eine Bar aufmachen. Gleich hier in Starnberg.
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Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde:
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Wieder das Schlagzeugspielen anfangen. Ich hab‘ früher in einer Grunge- und Punkrockband gespielt, aber mit Mitte 20 aufgehört. Heute würde ich mir aber eher eine Jazzrock-Band suchen.
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Ein inspirierender instagram- oder LinkedIn-Account:
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Mein guter Rat an jemanden, der/die es als Architekt zu etwas bringen will:
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Wir Architekten opfern viel Zeit für Ideen, die dann gar nicht umgesetzt werden. Deshalb wird unsere Arbeit auch häufig als Hobby geringgeschätzt. Mein Rat wäre, selbstbewusst aufzutreten und unseren Job als das zu vertreten, was er ist: ein ernstzunehmender Beruf.
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Walter Waldrauch
ist einer der Mitgründer von raumstation Architekten in Starnberg. Das 15-Mitarbeiter-Büro verfügt über einige Erfahrung mit denkmalgeschützten Bauten, wie zum Beispiel der Renovierung einer Jahrhundertwendevilla in München oder dem Umbau eines Hochbunkers zum Appartementhaus. Walter Waldrauch verantwortete auch die Sanierung des Derzbachhofes, Münchens ältestem noch erhaltenen Bauernhof, die 2021 mit dem Otto-Borst-Preis für Dorferneuerung (Anerkennung) ausgezeichnet wurde. Im Magazin Blueprint #17 stellen wir das Projekt vor.
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Text:
Harald Willenbrock
Fotos:
Titel/Porträt Walter Waldrauch © Petra Steiner | Bilder Derzbachhof © Thomas Weinberger
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Spannende Einblicke:
Inspirierende Projekte und Lösungen in Anwendung.
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Ideen tanken
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Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.
Stefanie Wahl,
Hager Architektenkommunikation
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Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Newsletter das generische Maskulin verwendet. Eine Benachteiligung i. S. v. § 1 AGG, gleich welcher Art, ist damit nicht intendiert.
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