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Was ist ein Kreativer, Werner Aisslinger?
Wie kommt das Neue in die Welt? Wie entstehen unkonventionelle Entwürfe, wie befreit man sich von Routine und Mainstream-Denke? In unserem out of the box-Newsletter diskutieren wir diese Fragen mit Architekten und Gestaltern. Werner Aisslinger, der Berliner Designer mit einem Faible für ausgefallene Materialien und Techniken, gibt Antworten.
Werner, wie wird man kreativ, und was genau ist das eigentlich: ein Kreativer? 
Kreativ kann man nicht werden, sondern man ist es. Und Voraussetzung ist eine Kombination von Eigenschaften wie Risikobereitschaft, Neugier und Autonomie. Als Kreativer stürzt man sich in die unterschiedlichsten Spielfelder, also muss man bereit sein, Risiken einzugehen. Das sollte man eigenständig tun können, daher gehört auch Autonomie zur Kreativität. Und ganz wichtig ist Neugier: Man muss das Gras wachsen hören, neugierig sein, rausgehen und ein Gespür dafür entwickeln, wo sich die Dinge gerade hinbewegen. Ein Kreativer ist jemand, der all diese Eigenschaften zusammenbringt. 
Wenn Kreativität und Risiko zusammengehören: Welches Projekt hast Du mal so richtig in den Sand gesetzt? 
Selbstverständlich, immer wieder. Wobei „in den Sand gesetzt“ so nach Desaster klingt, dabei ist es völlig normal, dass Ideen oder Projekte nicht realisiert werden. Nicht jede Idee ist genial. Meine Erfolgsquote schätze ich auf etwa 30 Prozent, das bedeutet: Zwei Drittel meiner Ideen scheitern. Entweder, weil die Hersteller nicht darauf anspringen, weil sie sich nicht umsetzen lassen, weil sie am Markt floppen oder aus einem der vielen anderen Gründe, die ein Projekt versanden lassen. Meine Skizzenbücher sind voller Ideen, die ich nicht realisieren konnte. Und mit meiner Fail-Quote von 70 Prozent fühle ich mich ganz wohl. 
Der Designunternehmer Alberto Alessi wertet Scheitern als ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass man sich an der Grenze zwischen Machbarem und Unmöglichem bewegt – und damit genau dort, wo Innovation entsteht. 
Guter Punkt. Nicht mehr zu scheitern könnte bedeuten, dass man sich in einer selbstgefälligen Wolke bewegt. Das wäre in der Tat gefährlich.    
Was ist schwieriger: gute Ideen zu haben – oder sie ins Leben zu bringen?
Ich glaube, wer nicht kontinuierlich, ganz automatisch und aus sich heraus Ideen generiert, ist in unserer Branche falsch. Vor 20 Jahren konnte man noch länger über Ideen grübeln, heute aber ist der ökonomische Kickback so überschaubar und das Tempo derart hoch, dass man ideenmäßig konstant auf hohem Qualitätslevel powern muss. Wenn eine Idee nicht zündet, muss man bereits drei Einfälle weiter sein. 
Das klingt mühsam.
Als Angewandter Künstler braucht man nun einmal Partner, die Ideen in die Welt tragen helfen – seien es nun Galerien oder Produzenten, die aus einem Konzept ein Produkt machen. Und auf diesem Weg gibt es natürlich Ingenieure, Marketingleute, Vorstandsvorsitzende und viele andere, die bei der Ausgestaltung ihr Wörtchen mitreden wollen. Wenn man all diesen Einflüsterern nachgibt, bleibt am Ende im schlimmsten Fall ein glattgeschliffener Hybrid, der kommerziell erfolgreich sein mag, aber die Idee verrät. Verteidigt man hingegen seine Vorstellungen hartnäckig gegen alle Änderungswünsche, entsteht möglicherweise ein interessanter Showcase, der zwar die Experten und Medien, aber sonst niemanden interessiert. Man muss sich also bei jedem Projekt taktisch überlegen: Will ich einen ökonomischen Wellenbrecher oder ein konsequent eigenständiges Produkt schaffen? Ich entscheide das von Fall zu Fall neu. 
Welches Projekt hat Dich in letzter Zeit so richtig inspiriert? 
Eine Kollaboration mit der Glasmanufaktur Freiherr von Poschinger und dem Designberater Thomas Biswanger, bei der wir für das 450 Jahre alte Familienunternehmen aus dem Bayrischen Wald eine Neuinterpretation des Wasserspenders entworfen haben. Die „Collection Co“ war eines jener Projekte, bei denen alles stimmte. Eines, das allen Beteiligten einen Kick und mir das Gefühl gegeben hat: Genau dafür bin ich mal Designer geworden. 
Zu Beginn Deiner Karriere hast Du für Designgrößen wie Michele De Lucchi, Ron Arad und Jasper Morrison gearbeitet. Haben die drei irgendeine Gemeinsamkeit, was ihre Inspirationsquellen oder -techniken betrifft?  
Bei Jasper konnte ich als sein allererster Praktikant zusehen, wie er mit seinem Füllfederhalter wunderschöne Skizzen zu Papier brachte. Die wurden per Fax an Hersteller verschickt, das war sozusagen sein Exposé. Michele hingegen war ein gestresster Vielarbeiter, der 80-90 Wochenstunden in seinem Atelier verbrachte und dort sonntags, wenn er Ruhe hatte, Aquarellskizzen komponierte. Ron hingegen verstand sich eher als Künstler, der in seiner Werkstatt aus dem Objekt heraus arbeitete. Es war ja noch die große Zeit des Autorendesigns, in der man sich als Gestalter persönlich profilieren konnte. Alle drei waren ganz unterschiedliche Lichtgestalten. Jeder von ihnen besetzte für sich seinen ganz eigenen Slot in der Designgeschichte. Wenn ich damals von ihnen eines gelernt habe, dann das: Als Kreativer muss man seine eigene Art entwickeln, die Dinge anzugehen.
Für Berker hast Du vor einiger Zeit drei erfolgreiche Schalterserien entworfen. Ganz in Kürze: Was interessiert Dich am Lichtschalter – einem Produkt, das viele lediglich für ein Detail unter vielen halten?  
Eine Menge. Wir leben ja in einer Welt, in der die Produkt- und Innovationszyklen immer kürzer werden. Hier einen zeitlosen Dauerläufer zu schaffen, ist eine extrem spannende Aufgabe. So ein Schalter muss ja nicht nur mit den anderen Elementen der Gebäudetechnik synchronisationsfähig, sondern auch über alle Trends und Moden hinweg zeitlos schön sein. Man muss also eine Ästhetik finden, die 20 bis 30 Jahre überdauert. Das ist eine ebenso super-komplexe wie schöne Herausforderung. 
Wie wird Corona unser Wohnen und Arbeiten verändern? Und welche Konzepte werden in der Post-Corona-Welt gefragt sein?    
Ich arbeite ohnehin gern daheim, wenn ich mich konzentrieren möchte, daher kommt mir der Rückzug aufs Home Office durchaus entgegen. Ein 30 Mitarbeiter-Büro von daheim aus am Laufen zu halten, die Kollegen mit ständigen Zoom-Konferenzen upzudaten und Leute in den Loop zu nehmen, die ebenfalls irgendwo daheim arbeiten, finde ich allerdings ganz schön anstrengend.

Was die Konzepte betrifft: Ich glaube, dass die Pandemie gar nicht so sehr einzelne Produktsegmente oder Architekturen, sondern vor allem Märkte verändern wird. Ein Beispiel: Wir arbeiten mit unserem Büro ja viel an Hotels und anderen Hospitality-Konzepten und stellen uns schon die Frage, ob und wie intensiv in Zukunft noch gereist werden wird. Ich würde mal vermuten: Da ändert sich einiges.
Zum Abschluss noch ein fixer Fragenkatalog, bitte direkt und ohne viel Nachdenken beantworten:
Das wollte ich als Kind werden: 
Schiffkoch. Ich wollte durch die Welt fahren und kochen.
Der beste Rat meiner Eltern: 
„Mach mal. Probier’s aus. Wird schon werden.“
Jemand, von dem ich enorm viel mitgenommen habe:  
Freunde. Beziehungen. Geschäftspartner. Kollegen. Es sind viele, von denen ich gelernt habe, nicht ein einzelner Mentor oder Inspirator.
Drei inspirierende Instagram-Accounts, denen ich folge:  
Ich bin auf der Ideen-Produzenten- und nicht so sehr auf der Vermarktungsseite.
Bei Instagram schaue ich nur sporadisch rein.
Mein verkanntestes Talent:  
Musik. Ich hab‘ früher Gitarre und Bass gespielt.
Etwas, mit dem ich auch meinen Unterhalt verdienen könnte, sollte es als Designer nicht mehr klappen: 
Fehlanzeige. Ich verfüge über keinen Plan B.
Eine Idee, die ich eines Tages definitiv noch umsetzen werde: 
Alltags-Produktnischen wie Küchen oder Fahrräder unter die Lupe nehmen und schauen, was sich dort gestalten lässt. Hab‘ ich bislang zu wenig getan.
Mein guter Rat an jede(n), der/die es als Designer zu etwas bringen will: 
Stürz Dich ins Risiko. Sei kontaktfreudig. Und vergiss nicht: Es ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Als Nine-to-five-Konzept funktioniert es nicht.
 
Werner Aisslinger

Natürlich erreicht man ihn derzeit im Home Office. Wie alle anderen arbeitet auch der Berliner Designer momentan daheim. Seine Entwürfe aber findet man überall draußen in der Welt: In Museen wie dem MOMA, in stilvollen Apartments (Bad- und Küchenarmaturen, Lichtschalter, Schränke und Stühle) aber auch in Form von Hotels wie dem Berliner 24hours Bikini Hotel, die Aisslinger aus- und umbaut. Momentan arbeitet er mit seinem 30 Mitarbeiter-Team an Hotels in Leipzig und Köln, einer Shopping Mall in Bangkok und Möbelkonzepten für Dedon und Rolf Benz – von daheim, versteht sich.
 
Werner Aisslinger über sein Projekt Hobo Hotel, Stockholm
Magazin Berker Blueprint „25 hours Bikini, Berlin“
 
Schalterprogramme Berker R.1, R.3 und R.8
 
 
Alles für Ihr Projekt. Alles außer gewöhnlich. Alles aus einer Hand. hager.de/arc
 
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